Das österreichische Militärstraf- und Heeresdisziplinarrecht
im Lichte von Art. 5 und 6 EMRK

F Zusammenfassung und kritischer Praxisvergleich

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„Der österreichische Soldat lebt in der jahrhundertealten Tradition,
trotzdem seine Pflicht dem Vaterland gegenüber zu erfüllen.
[401]

Durch den nachhaltigen positivistischen Einfluß auf Gesetzgeber und Rechtslehre[402] ist die Situation entstanden, daß in Österreich in mehreren militärbezogenen Gesetzen der nur naturrechtlich zu erklärende Begriff „Disziplin” verwendet wird, dem im Kelsenschen System weder Inhalt noch (sittlicher) Wert zugestanden wird.[403] Da aber nicht nur eine Armee, sondern auch jede andere Gemeinschaft von Menschen ohne sittliche Wertvorstellungen, daher auch ohne Disziplin nicht gedeihen kann, erscheint eine naturrechtlich determinierte Definition dieses Begriffes notwendig, damit seiner willkürlichen und einseitigen Auslegung vorgebeugt beziehungsweise Einhalt geboten werden kann.[404]

Eine tiefergehende, vor allem aber objektivere, das heißt die aktuellen Gegebenheiten berücksichtigende Beschäftigung mit den deutschen und Schweizer Darstellungen zum besonderen Gewaltverhältnis könnte für die Lehre ein wertvoller Anstoß sein, diesen Rechtsbereich, der in Österreich nur durch abstrakte Normen, weniger durch akademische Auseinandersetzungen behandelt ist, einer fundierten, eigenständig–österreichischen dogmatischen Aufarbeitung zuzuführen.

Ziel dieser akademischen Auseinandersetzung sollte eine Erhöhung der Transparenz des militärischen Disziplinarrechts im Bereich der Gesetzgebung sein, die unter anderem auch durch eine Zusammenfassung in nur einem einzigen Gesetz wesentlich erhöht werden könnte.[405]

Die direkte Berücksichtigung oder gar Anwendung des Menschenrechtskataloges der EMRK — und damit geltenden Verfassungsrechtes — durch militärische Behörden ist in Österreich in der Praxis beinahe ausgeschlossen.[406] Es ist bedenklich, daß die bei weitem überwiegende Zahl der als Disziplinarbehörden im militärischen Bereich fungierenden Personen zwar Kenntnis von der Existenz der EMRK, nicht aber über ihren Inhalt und ihre Relevanz für das österreichische Recht, insbesondere für das militärische Disziplinarrecht haben![407]

Schon an dieser Stelle sei daher darauf hingewiesen, daß nicht nur in Hinblick auf die Ausbildung der verantwortlichen Offiziere und den Informationsumfang aller dem militärischen Disziplinarrecht unterworfenen Personen — insbesondere der Grundwehrdiener — erhebliche Verbesserungen inhaltlicher wie formeller Art, sondern auch — als wichtige Begleitmaßnahme dieser Verbesserungen — die Zusammenfassung und Kürzung sowie die durch klare, leicht verständliche Neuformulierung zu bewirkende Straffung militärischer Normen weiterhin dringend notwendig sind.

Die genannten Maßnahmen erscheinen durchaus geeignet, die vielzitierten Frustrationen des österreichischen Soldaten einzudämmen, ihm die Möglichkeit zu geben, sich seiner Aufgabe und Verantwortung stärker bewußt zu werden, seine Motivation zu fördern und seiner möglichen Entfremdung von Rechtsstaat und Demokratie vorzubeugen.



[401] Lovcik in Mitteilungsblatt der OG Salzburg 1/94 3 mSp.

[402] Vgl Walter in Vogel Grundrechtsverständnis und Normenkontrolle 2 f.

[403] Diese Tatsache verursacht idR einen legistischen Interpretationsbedarf, der nicht gerade geeignet ist, die Normenflut einzudämmen und Übersichtlichkeit und Klarheit zu fördern. Kritisch dazu auch Ermacora in JBl 1959 339 lSp.

[404] Beispiele für derartige Mißinterpretationen, die regelmäßig mit menschenrechtsverachtenden Maßnahmen einhergehen, werden immer wieder von den Medien veröffentlicht; so berichtet zB der ORF im „Inlandsreport” vom 10.02.1994 von einem Ausbildner, der offenbar ernste Erschöpfungszustände und nachhaltige Verletzungen der GWD in Kauf nahm, um diesen „Disziplin” einzubleuen.
Die militärrechtlichen Bestimmungen der Schweiz geben — im Gegensatz zum österreichischen Militärrecht — eine Legaldefinition des Begriffes Disziplin (vgl Pkt 205 DR); von der schweizerischen Lehre sind jedoch auch die Theorien zum besonderen Gewaltverhältnis immer wieder eingehend behandelt worden.

[405] Da dem Bundesheer — insb im Bereich der GWD — Staatsbürger aller Sozial– und Bildungsschichten angehören und das Militärrecht für die ihm Unterworfenen weitreichende und einschneidende Konsequenzen haben kann, sind hierbei klare und einfache Formulierungen unbedingt erforderlich; selbst die überarbeiteten Regelungen etwa der verschiedenen Zuständigkeiten im Disziplinarverfahren stellen immer noch junge, im Umgang mit Rechtsnormen noch unerfahrene Kommandanten besonders dann vor Probleme, wenn eine schnelle Entscheidung vonnöten ist.
Als vorbildlich ist in diesem Zusammenhang das DR, von dem ua jeder Armeeangehörige ein persönliches Exemplar erhält (vgl DR 1980 2: Verteiler), anzusehen. Auf 200 Seiten im A-6–Format kann sich der Schweizer Soldat jederzeit über alle ihn betreffenden Rechte und Pflichten umfassend informieren, während der österreichische Bundesheerangehörige lediglich ein Exemplar der ADV erhält, über alle anderen militärischen Normen jedoch — aus Zeitgründen, die sich aus den verschiedenen Dienstplänen meist zwangsläufig ergeben, oft nur sehr oberflächlich und daher mangelhaft — in kurzer, mündlicher Massenbelehrung „aufgeklärt” wird.

[406] Vgl dazu auch den Exkurs am Ende des Kapitels B.8.

[407] Persönliche Erfahrung des Verfassers, die aus zahlreichen Gesprächen mit Disziplinaranwälten, Einheitskommandanten, Disziplinarvorgesetzten sowie rechtskundigen Offizieren des MilKdo Wien und des MilKdo Salzburg gewonnen wurde.






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