Das österreichische Militärstraf- und Heeresdisziplinarrecht
im Lichte von Art. 5 und 6 EMRK

B Das besondere Gewaltverhältnis

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„Der Soldat steht auf Grund der ihm übertragenen Aufgabe,
sein Vaterland und sein Volk zu schützen und mit der Waffe zu verteidigen,
in einem besonderen Treueverhältnis zur Republik Österreich.”
[52]


1 Allgemeines


Wie zahlreiche Autoren immer wieder übereinstimmend feststellen, wird der Begriff der besonderen Gewaltverhältnisse als ein „amorphes, durch viele Unsicherheiten gekennzeichnetes Thema der Rechtswissenschaft”[53] gesehen. In Deutschland, wo die Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis entwickelt worden ist, liegt das heute in erster Linie daran, daß die Anpassungsfähigkeit dieses Rechtsinstitutes vielfach verkannt[54] und auf den Inhalt reduziert wird, den er in der Zeit von Otto Mayer (der allerdings nicht Urheber dieses Begriffes ist[55]) gehabt hat. Die kritischen Stellungnahmen der österreichischen Lehre hingegen berufen sich weitgehend auf die Unmöglichkeit, aufgrund des in Art. 18 B–VG festgelegten Gebots der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Legalitätsprinzip) ein besonderes Gewaltverhältnis zu begründen, weswegen an einer weiteren theoretischen Auseinandersetzung mit diesem Thema offenbar wenig Interesse besteht,[56] obwohl dieser Begriff von ihr recht häufig verwendet wird.[57]


2 Definition und Abgrenzung zum allgemeinen Gewaltverhältnis


Angesichts der angesprochenen Unsicherheiten scheint es daher angebracht, zunächst von einer Definition auszugehen, die dem Juristenstreit wohl entzogen scheint:

„Das allgemeine Gewaltverhältnis beschreibt die Rechte und Pflichten eines jeden Bürgers gegenüber dem Staat, z.B. Steuerpflicht, Wehrpflicht u.a.; Grundrechte; Wahlrecht; Rechtsschutzanspruch. Das besondere Gewaltverhältnis ist gekennzeichnet durch ein bes. enges Verhältnis des Gewaltunterworfenen zu einem bestimmten Träger staatl. Gewalt. Es kann auf freiwilliger Grundlage (z.B. Beamte, Richter) oder auf gesetzl. Zwang beruhen (z.B. Strafgefangene, Wehrpflichtige, schulpflichtige Schüler). Durch das bes. G. wird der aus dem allg. G. sich ergebende Status zwar nicht aufgehoben, jedoch weiteren Beschränkungen unterworfen, die ihre Schranke wiederum in den Erfordernissen des betreffenden bes. G. finden. Absolute Grenzen für Grundrechtseinschränkungen ergeben sich aus der Menschenwürde, dem Gleichheitsgebot und der sog. Wesensgehaltsgarantie. Freiheitsbeschränkungen im Rahmen eines bes. G. bedürfen grundsätzl. einer gesetzl. Grundlage. ...”[58]


3 Entwicklung von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1918 im Überblick[59]


Bereits das ALR[60] unterschied das allgemeine Verhältnis der Bürger zum Staat von jenem der „Militair– und Civilbediensteten” mit ihrem (obligatorischen) Treuegelöbnis dem (zu jener Zeit absoluten) Monarchen gegenüber.[61]

Die vorklassische Lehre ging von einem System von privat– und hoheitsrechtlichen Herrschaftsverhätnissen aus; typisch dafür ist die Einteilung von von Gerber[62], der das allgemeine Gewaltrecht des Staates über die Staatsbürger von den Gewaltverhältnissen des Familienrechts, diese von anderen privatrechtlichen Unterordnungen und schließlich wiederum vom Staatsdienst unterscheidet.[63] Für ihn ist der Staatsdiener „Diener und Gehilfe des Monarchen”,[64] dem er zu besonderer Treue und zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet ist; in diesem Punkt sind Bürger und Staatsdiener voneinander verschieden: Er trennt erstmalig allgemeine Rechtsbereiche und Gewaltunterworfenheit von „organischen Gewaltbereichen” und besonderer Unterworfenheit.

Von Gerber geht davon aus, daß die Unterwerfung — sowohl die allgemeine des Bürgers als auch die besondere des Staatsdieners — „nicht eine Minderung des Rechts, sondern eine Wohltat, nämlich die Gewährleistung einer gedeihlichen Existenz in der Volksgemeinschaft” sei.[65] Ein besonderer Rechtsschutz für den Staatsdiener wird jedoch schon allein dadurch überflüssig, als von Gerber die „organischen Gewaltverhältnisse” als „sittliche Tatbestände” versteht;[66] er vergleicht sie direkt mit dem Lehensverhältnis des Mittelalters, das auf Recht und Gegenrecht, auf Pflicht und Gegenpflicht beruht hat.

Dieses Anknüpfen an Sittlichkeit, ethisches Verhalten, besonders aber an das mittelalterliche Vasallentum erscheint vielleicht oberflächlich gesehen als altmodisch (auch im damaligen Sinn), ist jedoch als endgültige und eindeutige Absage an den absolutistischen Polizeistaat der Jahrhundertwende und dessen Willkürmöglichkeit zu sehen.[67]

Die Entwicklung der sogenannten klassischen Lehre — die noch schärfer zwischen allgemeinem und besonderem Herrschaftsverhältnis trennte — entstand im Gegensatz zu ihren Vorläufern vor dem Hintergrund einer ausgeprägten konstitutionellen Monarchie.[68] Der Begriff vom „besonderen Gewaltverhältnis” wurde erstmals von Laband[69] geprägt,[70] der sich hauptsächlich mit der Analyse des Beamtenverhältnisses beschäftigte. Er lehnte zwar einen direkten Vergleich der Beziehungen zwischen Beamten und Herrscher mit jenen von Lehensherrn und Lehensnehmer ab;[71] in Anlehnung an Schmitthenner schrieb aber auch er von einem Gewaltverhältnis, „welches ethischer Natur sei, auf besonderer Treue und Ergebenheit beruhe, eine besondere Dienstpflicht begründe”,[72] das sich — historisch gesehen — aus dem Vasallenverhältnis ableitet.[73] Als Grundlage der Entstehung eines besonderen Gewaltverhältnisses sieht Laband die freiwillige Übernahme besonderer Pflichten durch einen (privatrechtlichen) Vertrag; gleiches gilt für einen Berufsoffizier, den er zu den Beamten zählt.

Ein weiterer Indikator für das besondere Gewaltverhältnis, in dem der Beamte steht, ist die Disziplinargewalt des Vorgesetzten, die er jedoch nicht als Sonderstrafrecht für Beamte sieht, sondern als Unterscheidungsmerkmal des „Staatsrechtes” vom Privatrechtsbereich: „bei den 'Dienst– oder Gewaltverhältnissen' trete an die Stelle der Forderung der Befehl und an die Stellung der Erfüllungsklage der Zwang”[74] der Disziplinargewalt.

Trotz der besonderen Unterworfenheit des Beamten redet Laband keinesfalls der Willür das Wort. Für ihn wird staatliche Gewalt durch Rechtssätze[75] bestimmt und eingeschränkt, ohne Gesetze gibt es die Beschränkungen des Beamten nicht. „Die Staatsverwaltung steht hinsichtlich der Führung der öffentlichen Geschäfte dem Rechte gerade so frei und so gebunden gegenüber wie der einzelne hinsichtlich seiner Privatgeschäfte; ... ebenso hat der Staat durch das von ihm selbst gesetzte Recht nicht den Inhalt seiner Tätigkeit bestimmt, sondern derselben rechtliche Schranken auferlegt.”[76]

Den Höhepunkt erreicht die Entwicklung der Theorie zum besonderen Gewaltverhältnis zweifelsfrei mit Otto Mayer und seinem „Deutschen Verwaltungsrecht”.[77] Erstmalig schied er bewußt Staats– vom Verwaltungsrecht,[78] was eine Loslösung des Instituts des besonderen Gewaltverhältnisses von der jeweils aktuellen Staatsform und damit sein Überleben im Bonner Grundgesetz bis in die heutige Zeit ermöglichte.

Mayer gesteht der Verwaltung im Innenbereich einen besonderen Freiraum, besondere Selbständigkeit zu. Da dieser Innenbereich durch Gesetze nur in wichtigen Fällen geregelt ist, entsteht hier in den meisten Fällen hoheitsrechtlicher — rechtssatzfreier — Verwaltung ein gesetzes– und rechtsfreier[79] (und somit auch rechtsschutzfreier) Raum, der nur durch eine Bindung an den Zweck der Verwaltung beschränkt wird. Die Verwaltung ist hier notwendigerweise zu selbständigem Handeln ermächtigt, damit sie ihre Aufgaben effizient erfüllen kann.

Im gesetzesfreien Raum des besonderen Gewaltverhältnisses greift daher ein „Gesetzesvorbehalt”[80] — einer der vielen Begriffe, die von Mayer geprägt worden und heute noch in Verwendung sind[81] — nur dann, wenn es um elementare Eingriffe (wie beispielsweise in Eigentum und Freiheit[82]) geht.

Diese Position kann auch mit modernen Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit — die von Mayer stets gewünscht und befürwortet wurde[83] — in Einklang gebracht werden. Dort, wo die Unterwerfung unter die besondere Gewalt nicht auf freiwilliger (vertraglicher) Basis geschieht (Beamter, Berufsoffizier), sondern erzwungen ist (Strafgefangener, Wehr– oder Schulpflichtiger) oder automatisch — auch gegen den Willen des Betroffenen — beginnt (etwa der Eintritt in eine Anstalt)[84], wird der Unterworfene regelmäßig aufgrund eines (die rechtsstaatlichen Prinzipien beachtenden) Gesetzes (Strafgesetze, Wehrgesetze, Schulgesetze ...) vom „großen” (allgemeinen) in ein besonderes Gewaltverhältnis überstellt.

Die Konsequenz dieser Haltung ist, daß rechtsstaatliche Prinzipien zwar im allgemeinen, aber nur sehr beschränkt im besonderen Gewaltverhältnis verwirklicht werden können.

Die weitere Entwicklung der Theorie bis zum Ende des Ersten Weltkrieges wird dann hauptsächlich von Paul Kahn fortgeführt, der im Jahre 1912 die erste Gesamtdarstellung in diesem Bereich veröffentlicht.[85] Wie vor ihm schon Mayer, trennt auch er allgemeines und besonderes Gewaltverhältnis besonders scharf. Letzteres definiert er als „ein Verhältnis der Über– und Unterordnung auf Grund einer besonderen Gewalt.”[86] Über das Gewaltverhältnis an sich schreibt er: „Das Wesen des Gewaltverhältnisses besteht darin, daß von dem Unterworfenen nicht ein genau umschriebenes im Voraus bestimmtes Verhalten verlangt wird, sondern der Wille des Gewaltinhabers mit selbständiger bindender Kraft das Geschuldete bestimmt.”[87] Diese Haltung hat zur Folge, daß für Kahn besondere Gewaltverhältnisse nicht auf das öffentliche Recht beschränkt sind; so habe auch ein Familienvater oder etwa ein Dienstgeber besondere Gewalt über seine Kinder respektive Angestellten.[88]

Die Grenzen des besonderen Gewaltverhältnisses sieht Kahn in der Angemessenheit der angewandten Gewalt, die durch ihre Natur und ihren Zweck beschränkt wird. Dies zeigt deutlich, daß einerseits auf der theoretischen Ebene der Lehre zwar eine enorme Entwicklung — besonders unter dem Einfluß von Mayer — stattgefunden hat, daß andererseits jedoch auch zu Anfang dieses Jahrhunderts Grundlage und Schranken im besonderen Gewaltverhältnis immer noch in der wechselseitigen Abhängigkeit im Subordinationsverhältnis mittelalterlicher Vasallität zu suchen ist — selbst dann, wenn diese Wurzel nicht mehr als solche gesehen wird.[89]

Selbstverständlich gab es bereits damals Kritik an dieser Lehre. Hervorzuheben wäre hier etwa Richard Thoma[90], der zumindest bei den freiwillig eingegangenen besonderen Gewaltverhältnissen die Gewalt nicht nur durch ihre Angemessenheit und ihren Zweck, sondern auch durch die Möglichkeit der einseitigen (!) Aufl”sung des Gewaltverhältnisses seitens des Gewaltunterworfenen (etwa durch einen Berufswechsel des Beamten oder Berufsoffiziers) sieht. Da die Ermächtigung der Verwaltung, das besondere Gewaltverhältniss selbständig auszugestalten, auf Rechtssätzen beruht, spricht er von „besonderen Rechtsverhältnissen” im Gegensatz zu den — bei ihm erstmalig so benannten — „allgemeinen Rechtsverhältnissen”. Die scharfe Trennung zwischen diesen beiden Instituten jedoch behält auch er in Anlehnung an Mayer bei.

Kritik wurde aber auch an der Rechtsschutzlosigkeit der Gewaltunterworfenen in besonderen Gewaltverhältnissen sowie an der Undifferenziertheit in der Abgrenzung derselben voneinander geübt. Sie reicht von Äußerungen der Entrüstung[91] über die Feststellung, daß auch Strafgefangene nicht rechtlos seien,[92] bis hin zu Jellinek, der für graduelle Abstufungen der Gewalt in den besonderen Gewaltverhältnissen plädierte.[93] Insbesondere Letztgenannter hat — in Anlehnung und Fortführung der Ideen von Thoma[94] — von den allgemeinen Gewaltverhältnissen die (allgemeinen) Herrschaftsverhältnisse unterschieden, was eine Dreiteilung ergibt: Freiwillig eingegangene Gewaltverhältnisse (dies betrifft etwa das Beamtenverhältnis, aber auch jenen Bürger, der ein Postamt betritt) sind gekennzeichnet durch Beschränkungen persönlicher Freiheit aufgrund der Weisungsgewalt sowie durch die Disziplinargewalt zur Durchsetzung derselben. Diese disziplinäre „qualifizierte” Herrschergewalt setzt Jellinek graduell geringer an als die allgemeine Gewalt, die alle Staatsbürger trifft, da der Gewaltunterworfene das ihn bindende Verhältnis jederzeit auflösen kann. Jene „besonderen” Gewaltverhältnisse, bei denen eine solche Auflösung nicht zielführend und daher nicht möglich ist (so beim Strafgefangenen oder beim Soldaten), nennt er „spezielle Herrschaftsverhältnisse”, in denen sich die disziplinären Maßnahmen von jenen der allgemeinen Herrschaftsverhältnisse dadurch unterscheiden, daß sie Ordnungsstrafen zur Unterstützung der regulären Strafen sind.


4 Entwicklung in der Zwischenkriegszeit


Viel Neues hätte er nicht zu berichten, schreibt Mayer im Vorwort zur dritten Auflage seines „Deutschen Verwaltungsrechts”. „Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht.”[95]

Ohne Zweifel hat jede radikale Verfassungsänderung auch ihre Einflüsse auf das Verwaltungsrecht,[96], das aus praktischen Gründen meist nur langsam verändert werden kann. Daher übernimmt auch di sie auch Beamten und Soldaten bestimmte Grundrechte ausdrücklich gewährt[97] — die Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis,[98] denn „... festzuhalten bleibt, daß die Unterscheidung zwischen allg. und besGewV Teil des allgemeinen Begriffsvokabulars des deutschen Verwaltungsrechts geworden war und sich als wissenschaftlich fundierte und zugleich wegen ihrer schematischen Einfachheit praktikable Maxime für die Verwaltungshandhabung darstellte.”[99]

Zunehmend verlagert sich die Diskussion auf die Grundrechtsgeltung innerhalb der besonderen Gewaltverhältnisse. Obwohl Thoma bereits 1906 angemerkt hat, daß Mayers Grundsatz der Unanwendbarkeit der Grundrechte dann durchbrochen ist, wenn die Geltung eines Grundrechts durch Gesetz ausdrücklich auf ein besonderes Gewaltverhältnis ausgedehnt wird (wie im oben erwähnten Fall der Weimarer Verfassung)[100], kritisierten einige Autoren das besondere Gewaltverhältnis als Paradoxon zur Grundrechtsgeltung und zur Weimarer Verfassung.[101]

Nawiasky versucht dem Problem aus dem Weg zu gehen, indem er Staat und Bürger als Subjekt von Rechten (nicht als Subjekt der Rechtsordnung!) auf die gleiche Stufe stellt und folglich auch Gewalt– und (private) Forderungsverhältnisse auf der gleichen Ebene (mit unterschiedlicher Intensität) bestehen läßt, wodurch auch besondere Gewaltverhältnisse zu rechtlichen Gewaltverhältnissen werden.[102] Nawiaskys „undogmatische Behandlung des Themas” hatte jedoch wenig Einfluß auf die damalige Lehre.[103]

Erwähnt werden muß hier noch die Monographie von Freudenberger,[104] der — wie vor ihm auch die klassische Lehre Mayers — weiterhin allgemeines von besonderem Gewaltverhältnis unterscheidet, letzteres aber als eine „zweckbestimmte Teilrechtsordnung”[105] der Gesamtrechtsordnung betrachtet. Auf diese Weise ermöglicht er — ganz im Sinne der Weimarer Verfassung — ein Einwirken der Grundrechte und des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit auch bis in den Bereich des (bei ihm nicht mehr rechtsfreien) besonderen Gewaltverhältnisses.

Obwohl seine Weiterführung vor allem der Ideen von Thoma[106] hätte richtungsweisend sein können, war Freudenbergers Schrift — wohl wegen des Erstarken des Nationalsozialismus in Deutschland — keine weitgehende Beachtung beschieden. Es wird jedoch deutlich, daß gerade jene Autoren, die nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute die Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis unter dem in der Regel recht undifferenzierten Hinweis auf die klassische, „überkommene”[107] Lehre — die, wie oben gezeigt wurde, alles andere als homogen und statisch gewesen ist — teilweise heftig kritisieren und rigoros ablehnen, sich wohl kaum mit Freudenbergers großer Monographie intensiv beschäftigt haben können. Das besondere Gewaltverhältnis hat längst einen anderen Inhalt bekommen.


5 Das besondere Gewaltverhältnis im Dritten Reich[108]


Das nationalsozialistische Führerprinzip, das mit der Ausschaltung der Parteien und der Alleinregierung der NSDAP unter Adolf Hitler in Deutschland seit dem 2. August 1934[109] eingeführt worden ist, bringt eine erhebliche Verschärfung jener Zustände, die im absolutistischen Polizeistaat vorherrschend gewesen sind, mit sich. Der Führer verlangt von seinem Volk Treue und Gefolgschaft,[110] damit absoluten Gehorsam in jeder Situation,[111] dies umso mehr, desto bedrohlicher die Lage Deutschlands wird.[112]

Für das besondere Gewaltverhältnis bedeutet dies, daß eine Umkehr der Entwicklung eintritt: Waren vorher die Bemühungen vorherrschend, die Regeln, die im allgemeinen Gewaltverhältnis gelten, auf das besondere Gewaltverhältnis Schritt für Schritt auszudehnen, so bringt der nationalsozialistische Totalitarismus ein zunehmend radikaleres Zurückdrüngen des allgemeinen sowie eine systematische Ausweitung der besonderen Gewaltverhältnisse. Anzeichen dafür ist die Gesetzgebung im kriegsstrafrechtlichen Bereich, insbesondere die „Verordnung über das Sonderstrafrecht im Kriege und bei besonderem Einsatz” (KSStVO)[113] mit ihren sechs Novellierungen,[114] die unter anderem eine Ausdehnung des militärstrafrechtlichen Geltungsbereiches auf weite Teile der Zivilbevölkerung gebracht haben, sowie zum Beispiel die „Volksschädlingsverordnung”[115] oder die „Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen”.[116] Der früher so heftig kritisierte rechtsfreie Ermessensspielraum, der vor der Entstehung der Diktatur schon überwunden schien, wird nicht nur in der Verwaltung wieder ausgeweitet, sondern unter dem Schlagwort „gesundes Volksempfinden” auch auf andere Bereich wie den der Justiz übertragen.[117]

„Zusammenfassend kann die dogmatische Situation jener Zeit so umschrieben werden, daß das allgGewV in Theorie und Praxis durch das Führer–Gefolgschaftsprinzip der Grundlegung nach weithin dem besGewV angenähert worden war; jedenfalls verlor die Unterscheidung ihren dogmatischen und prinzipiellen Charakter und nahm Abstand von der Konstruktion zweier gegensätzlich ausgefüllter Bereiche.”[118]


6 Die weitere Entwicklung bis zum „Engel–Urteil” des EGMR


Nach dem Zweiten Weltkrieg werden die Ergebnisse der Lehre bis etwa 1928 bis in die Mitte der fünfziger Jahre ohne größere Diskussionen übernommen. Das Bonner Grundgesetz, eine demokratische Gesellschaftsordnung und die Republik als Staatsform sind zunächst — zumindest faktisch — offenbar problemlos mit den besonderen Gewaltverhältnissen in Einklang zu bringen.

Im Wesentlichen haben zwei Ereignisse der Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis — aber auch ihren Kritikern — neue Impulse gegeben: die Diskussionsbeiträge der Tagung der Deutschen Staatsrechtslehrer vom 12. Oktober 1956[119] sowie der Beschluß des deutschen Bundesverfassungsgerichtes vom 14. März 1972.[120]


6.1 Die Staatsrechtslehrertagung von 1956


Die Beratung über das besondere Gewaltverhältnis auf der Tagung der Deutschen Staatsrechtslehrer ist geprägt durch die Vorträge von Krüger und Ule; in der anschließenden Aussprach meldet sich erstmals auch ein Vertreter der österreichischen Rechtswissenschaft positiv zu diesem Thema zu Wort.[121]

Obwohl Krüger[122] feststellt, das besondere Gewaltverhältnis „... ist als Rechtsverhältnis qualifiziert, die Grundrechte sind auch hier angesiedelt worden und es wird wenigstens nicht mehr grundsätzlich bestritten, daß aus diesem Boden auch Rechtsakte erwachsen können”,[123] kann sein Begriff vom besonderen Gewaltverhältnis nicht als zeitgerecht gesehen werden,[124] ebensowenig sein Begriff von der „Gewalt im Gewaltverhältnis”.[125] So verwundert es nicht, daß Krügers Einstellung zu diesem Rechtsinstitut auf dieser Tagung auf teilweise recht launische Kritik[126] und sein Wunsch, das besondere Gewaltverhältnis möge im allgemeinen Gewaltverhältnis aufgehen,[127] nur auf wenig Anerkennung gestoßen ist.

Einen brauchbaren Versuch zur Weiterentwicklung stellt hingegen der Beitrag Ules dar.[128] Ausgehend von der grundlegenden Frage, „ob der Rechtsstaatsgedanke durch einen uneingeschränkten oder durch einen eingeschränkten gerichtlichen Rechtsschutz im besonderen Gewaltverhältnis mehr gefördert wird”,[129] ermöglicht ihm seine systematische Analyse der Beziehungen der besonderen Gewaltverhältnisse vor allem zu Art. 19 Abs. 4 GG, das Problem der Verschiedenartigkeit der besonderen Gewaltverhältnisse und — damit notwendigerweise verbunden — ihrer differenzierten Beurteilung zu lösen, indem er sie in ein Grund– und ein Betriebsverhältnis aufgliedert.[130]

Im Grundverhältnis, das den Bestand des besonderen Gewaltverhältnisses zum Inhalt hat,[131] ist nach allgemeiner Ansicht[132] der gerichtliche Rechtsschutz generell gewährleistet.[133]

Das Betriebsverhältnis ergibt sich aus der Tatsache, daß der Gewaltunterworfene bei Dienstverhältnissen (Beamter, Soldat) dem jeweiligen Betrieb als „persönliches Mittel, mit dem die dem 'Betrieb' gestellten Aufgaben erfüllt werden”, dient; aber auch bei den Anstaltsverhältnissen (Schule, Krankenanstalt, Strafanstalt) ist der Gewaltunterworfene verpflichtet, sich einer „Betriebsordnung” (Anstaltsordnung) zu unterwerfen.[134] Im Betriebsverhältnis hält Ule aus rechtsstaatlichen Erwägungen den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz für das Wehrdienst– und alle geschlossenen Anstaltsverhältnisse für erforderlich, nicht aber für das Beamtenverhältnis und die offenen Anstaltsverhältnisse,[135] wo er teilweise gar nicht möglich ist: „Die Lehre von der gerichtlichen Unüberprüfbarkeit unvertretbarer technischer Werturteile[136], auf denen viele Entscheidungen und Maßnahmen im besonderen Gewaltverhältnis beruhen, trägt dieser Beschränkung der Gerichte auf die Entscheidung von Rechtsfragen in besonderer Weise Rechnung.”[137]

Daraus ergibt sich, daß die Grundrechtsgeltung für den gleichen Bereich gegeben sein muß, für den Ule die Notwendigkeit des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes erkannt hat; beim Beamten– respektive offenen Anstaltsverhältnis ist die direkte Anwendbarkeit der Grundrechte auf das Grundverhältnis weitgehend eingeschränkt,[138] da hier im Betriebsverhältnis Rechtsfragen überhaupt erst entstehen können, wenn es zu einem Rückgriff auf das Grundverhältnis kommt.

Es kann festgestellt werden, daß Ules Beitrag zur Staatsrechtslehrertagung 1956 einen wesentlichen Fortschritt bei der Anpassung der Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis an die Erfordernisse der veränderten verfassungsrechtlichen Situation Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg sowie für ihre künftige Brauchbarkeit darstellt.[139]


6.2 Der Beschluß des deutschen Bundesverfassungsgerichtes vom 14. März 1972


Die bereits bei der Behandlung der Disziplin angesprochenen Liberalisierungen der sechziger und siebziger Jahre in der BRD[140] bringen für die Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis — trotz der weitgehenden Zustimmung, die Ules Vorschläge auf und nach der Staatsrechtslehrertagung 1956 erhalten hat — eine zunehmenden Front der Kritik und Ablehnung.[141]

Diese Entwicklung erreichte in dem Beschluß des deutschen Bundesverfassungsgerichtshofes vom 14. März 1972 einen Höhepunkt.[142] Einige Argumente dieser Entscheidung bedürfen jedoch näherer kritischer Betrachtung.

Die Feststellung des Gerichtes, daß es einerseits in Deutschland (noch) kein Strafvollzugsgesetz gebe, die Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis jedoch überkommen sei,[143] erscheint unbefriedigend, da sie — im Gegensatz zur Nachkriegslehre zum besonderen Gewaltverhältnis — keine universell anwendbare Lösung des Problems anbietet. Zu bezweifeln ist auch, ob die Meinung des Gerichtes, „daß die traditionelle Ausgestaltung des Strafvollzuges als eines 'besonderen Gewaltverhältnisses' es zuließ, die Grundrechte des Strafgefangenen in einer unerträglichen Unbestimmtheit zu relativieren”,[144] korrekt ist; schließlich sind bereits in der klassischen Lehre Rechtsstaatsgedanke und Grundrechtsgeltung im besonderen Gewaltverhältnis vertreten worden.[145] Festzuhalten ist, daß auch jener Teil der Lehre, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg für die Weiterentwicklung der Theorie ausgesprochen hat, die Grundrechtsgeltung im besonderen Gewaltverhältnis nicht leugnet, sondern vielmehr bejaht.[146]

Dem hat das Gericht auch nicht Rechnung getragen in Würdigung der Tatsache, daß sich alle Maßnahmen im besonderen Gewaltverhältnis — selbst unter Annahme eines (grund–)rechtsfreien Raumes! — strikt am Zweck desselben zu orientieren haben.[147] Das Gericht hat aber zu Recht verneint, daß es es zweckentsprechend sei, den Brief eines Strafgefangenen wegen seines beleidigenden Inhaltes zurückzuhalten.[148] Es erscheint daher ungerechtfertigt, diesen Beschluß als „Abschied von der Rechtsfigur des besonderen Gewaltverhältnisses”[149] zu sehen, zumal Ule bereits 1956 die Notwendigkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes — und damit auch des Grundrechtsschutzes — für die besonderen Gewaltverhältnisse geschlossener Anstalten festgestellt hat.[150] Es bedarf daher nicht einmal eines Rückgriffs auf das Grundverhältnis, um gegen Maßnahmen, die in Grundrechte eingreifen, aber durch den Anstaltszweck allein nicht zu rechtfertigen sind, gerichtlichen Rechtsschutz gewähren zu können. Die Rechtsfigur des besonderen Gewaltverhältnisses verhindert dies auf keine Weise.

Meines Erachtens liegt daher die Bedeutung dieser Entscheidung nicht in der Absage an die Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis, sondern in ihrem Auftrag und Anstoß zur Verrechtlichung derselben[151] sowie in der Feststellung, daß der Gesetzgeber nicht umhinkommen wird, dabei auf Generalklauseln zurückzugreifen.[152]


7 Das Engel–Urteil des EGMR


Auch der EGMR hat sich in seinem Urteil um Fall Engel u.a. vom 8. Juni 1976[153] mit der Einschränkbarkeit von Grundrechten im besonderen Gewaltverhältnis des Wehrrechts auseinandergesetzt.[154] In Punkt 54 der Entscheidungsgründe stellt der EGMR die Geltung der Konventionsrechte für Militär– wie Zivilpersonen gleichermaßen grundsätzlich fest,[155] verweist aber gleichzeitig auch auf ihre konventionsgemäße Einschränkbarkeit nach Art. 4 Abs. 3b sowie Art. 11 Abs. 2 EMRK.[156] Festzuhalten ist jedoch, daß nicht nur für die Geltung der Grundrechte, sondern auch für die Voraussetzungen zu ihrer Einschränkung — beispielsweise in einem besonderen Gewaltverhältnis — die Konvention selbst respektive konventionskonforme nationale Normen das Maß der Dinge sind.

Von grundlegender Bedeutung sind auch die Ausführungen des EGMR zur Unterscheidung einer strafrechtlichen Anklage von einer solchen mit disziplinärem Charakter.[157] Einem Staat steht es demnach frei, bei Verstößen von Soldaten „gegen eine den Betrieb der Streitkräfte regelnde Rechtsnorm ... grundsätzlich das Disziplinarrecht anstelle des Strafrechts gegen ihn zur Anwendung zu bringen.”[158] Da es ddem Sinn der EMRK jedoch zuwiderlaufen würde, könnten Staaten das — an sich konventionsgemäße[159] — Disziplinarrecht beliebig in den strafrechtlichen Bereich ausdehnen und damit die Bestimmungen der Konvention umgehen, stellt der EGMR seine Zuständigkeit für die Kontrolle darüber fest,[160] ob verhängte disziplinäre Maßnahmen bereits strafrechtlichen Charakter haben.[161]

Diese Beschäftigung mit dem Wesen des Disziplinarrechts, einem der wichtigsten Merkmale des besonderen Gewaltverhältnisses, führt den EGMR im konkreten Fall des Art. 5 Abs. 1 EMRK erneut zur Feststellung der Grundrechts– und Konventionsgeltung im Wehrrecht, jedoch subsumiert er gewisse disziplinäre Maßnahmen — wie etwa den leichten oder den verschärften Arrest — nicht unter die von der Konvention geschützten Tatbestände.[162]

Besonders in Staaten wie der Bundesrepublik Deutschland oder der Schweiz, in denen eine intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem besonderen Gewaltverhältnis stattgefunden hat, ist die notwendig gewordene Anpassung der Judikatur an jene des EGMR schneller und leichter erfolgt[163] als beispielsweise in Staaten, deren Recht vom Rechtspositivismus geprägt ist, derÿñine Auseinandersetzung mit dieser Theorie ablehnt.[164]


8 Die weitere Entwicklung der Lehre bis heute


Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes von 1972 wie auch das Engel–Urteil des EGMR haben die Diskussion über die Theorie zum besonderen Gewaltverhältnis neu angefacht.[165] Während das besondere Gewaltverhältnis in der Judikatur weiterhin seinen Platz behält,[166] ergibt sich in der dogmatischen Auseinandersetzung weiterhin eine Zweiteilung der Positionen:

Auf der einen Seite greifen die Gegner der Theorie diese weiterhin an unter (den aktuellen Stand der Lehre meist ignorierenden[167]) Hinweisen auf ihren „vorrechtsstaatlichen Gewaltcharakter”,[168] verlieren sich in Begriffe wie „technokratische Gewaltverhältnisse[169] mit komplizierter Technostruktur”,[170] fordern die Justiziabilisierung, Parlamentarisierung und Bürokratisierung der sozialen Eigengesetzlichkeiten des besonderen Gewaltverhältnisses[171] oder versuchen, es durch Umbenennungen abzuschwächen.[172]

Eine ernstzunehmende Auseinandersetzung bietet etwa Kiepe, der — in Übereinstimmung mit dem Engel–Urteil des EGMR — feststellt, daß „die Grundrechte auch in besonderen Gewaltverhältnissen nur nach Maßgabe der nach dem Grundgesetz für die Einschränkung von Grundrechten allgemein geltenden Regeln eingeschränkt werden dürfen.”[173] Außerdem weist er auf die Unmöglichkeit neben dem Verfassungsrecht existierenden Gewohnheitsrechts hin, das vielfach — auch in der Rechtsprechung[174] — zur Begründung einer Grundrechtseinschränkung herangezogen worden ist.

Kiepes Kritik an Ules Zweiteilung des besonderen Gewaltverhältnisses erscheint jedoch zu wenig differenziert;[175] auch im Betriebsverhältnis sind alle Wesensmerkmale des besonderen Gewaltverhältnisses erfüllt,[176] es ist daher verfehlt, das Betriebsverhältnis dem allgemeinen Gewaltverhältnis zuzuordnen.

Zu Recht bemängelt Kiepe, daß die Rechtsprechung durch die Ausweitung des Gesetzesvorbehaltes die Anforderungen an denselben mehr und mehr abgebaut hat.[177]

Auf der anderen Seite stehen die Befürworter der Lehre, die teilweise — ähnlich ihren Gegnern — versuchen, durch begriffliche Abschwächungen wie „Sonderstatusverhältnis”,[178] „besonderes Rechtsverhältnis”[179] oder „Sonderrechtsverhältnis”[180] dem besonderen Gewaltverhältnis seinen negativen Beigeschmack zu nehmen, was durchaus auf Kritik aus den eigenen Reihen stößt:[181] Diese „Begriffskosmetik”[182] bewirkt die Verschleierung des eigentlichen Hintergrundes, schließlich ist eine „Terminologiereform” einer Diskussion über Inhalte nur hinderlich.[183]

Die endgültige Anpassung der Lehre zum besonderen Gewaltverhältnis an die Rechtsprechung von BVerfG und EGMR[184] bringen 1984 die Vorträge von Loschelder, Ronellenfitsch, Merten, Ule und Schenke.[185] Ronellenfitsch, der schon bald nach dem Entscheid des BVerfG durch die vorschnelle Aufgabe des Rechtsinstituts „das Kind mit dem Bade ausgeschüttet”[186] gesehen hat, stellt für den aktuellen Stand der Lehre fest:[187]

(1) Der Gesetzesvorbehalt gilt auch im besonderen Gewaltverhältnis.

(2) Auch die Ausübung von Grundrechten kann im besonderen Gewaltverhältnis nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden.

(3) Eine originäre Rechtssetzungsgewalt der Exekutive besteht im besonderen Gewaltverhältnis nicht.

(4) Auch gegen Maßnahmen innerhalb des besonderen Gewaltverhältnisses ist bei Rechtsbeeinträchtigungen des Gewaltunterworfenen Rechtsschutz gegeben.

Trotz seiner inzwischen eingetretenen und bereits festgestellten verfassungsrechtlichen Bedeutungslosigkeit[188] bleibt das besondere Gewaltverhältnis dank seiner Anpassungsfähigkeit an die jeweiligen Erfordernisse immer noch eine verwaltungsrechtliche Kategorie[189] auf die das Bonner Grundgesetz ausdrücklich Bezug nimmt;[190] es ist somit kein obrigkeitsstaatliches Relikt, sondern ist facktisch existent und hat bleibende Bedeutung im Verwaltungsrecht.[191]

Insgesamt kann daher berechtigterweise mit Luthe — der der Lehre kritisch gegenübersteht — von einer „Restauration des besonderen Gewaltverhältnisses in der verwaltungsrechtlichen Dogmatik” gesprochen werden.[192]


Exkurs: Generalklauseln — ein Übel?


Zu Unrecht werden Generalklauseln verallgemeinernd negativ bewertet. Ihr Vorteil liegt — im Gegensatz zu einer positivistischen Flut von Normen, die sich teilweise vom Grundrechtskatalog inhaltlich entfernen können[193] — in einer viel direkteren und damit überschaubarerer, somit für Weisungsgeber und Weisungsempfänger[194] (für Grundwehrdiener und ihre Vorgesetzten) gleichermaßen leichter nachvollziehbaren Evaluierungsmöglichkeit inbezug auf die Grundrechte; der grundrechts– und damit verfassungsmäßige Durchgriff auf die einzelne Entscheidung ist innerhalb einer Generalklausel viel stärker, wie nachfolgende schematische Darstellung veranschaulicht.[195]



Die Graphik zeigt, daß die Ahndung von militärischen Pflichtverletzungen durch die Generalklausel, aber auch durch rechtssatzfreie Bereiche wesentlich direkter und damit grundrechtsnaher gestaltet werden kann als durch eine positivistisch–detaillierte Normenflut, nämlich über den Umweg einer Vielzahl von ausführenden Gesetzen und/oder Verordnungen.

Ein Nachteil der Generalklauseln ergibt sich aus der Tatsache, daß sie — im Rahmen der Disziplin — ein recht großes Verantwortungsbewußtsein sowie eine intensivere Auseinandersetzung mit dem generell–abstrakten Grundrechtskatalog und seine Bedeutung für die individuelle Konkretisierung durch eine Weisung bei allen Beteiligten (Soldaten) voraussetzt, woraus sich höhere Ansprüche und Herausforderungen an die militärische Ausbildung — vor allem der Offiziere — ergeben.

Aus demokratischer Sicht jedoch, die freie, mündige, das heißt um ihre Rechte und Pflichten wissende Bürger als Basis eines funktionierenden gesellschaftlichen Zusammenlebens erfordert, ist diese Tatsache nicht als Nachteil zu sehen.


9 Das besondere Gewaltverhältnis in Österreich


Die österreichische Lehre der Zwischenkriegszeit beschäftigt sich — vor allem unter dem Einfluß des Rechtspositivismus Kelsens — nur geringfügig und ablehnend mit dem besonderen Gewaltverhältnis;[196] sie wurde in Österreich nicht übernommen.[197]

Zudem erscheint zumindest bei oberflächlicher Betrachtungsweise das in Art. 18 B–VG normierte Legalitätsprinzip hierzulande jede Diskussion über dieses Rechtsinstitut überflüssig zu machen.[198] Daher werden erst geraume Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg vereinzelt österreichische Beiträge zu diesem Thema veröffentlicht.[199]

Ermacora geht von der faktischen Existenz der besonderen Gewaltverhältnisse aus,[200] die „sich entweder durch besondere Abhängigkeiten des Einzelnen zum Staat oder aber durch die Existenz rechtlicher Anordnungen, die ohne gesetzliche Grundlage in verfassungswidriger Weise[201] ihr Eigenleben führen,” auszeichnen; er unterteilt sie einerseits in patrimoniale[202] (traditionelle) und andererseits in moderne[203] besondere Gewaltverhältnisse und stellt für die erste Gruppe — mit Ausnahme der Schulverhältnisse — vor allem für den österreichischen Beamten eine weitgehende Verrechtlichung[204] sowie ausreichende verwaltungsgerichtliche Prüfungsmöglichkeit fest.[205]

In weiterer Folge werden die noch normfreien Bereiche der besonderen Gewaltverhältnisse immer weitgehender und immer detaillierter verrechtlicht; als Beispiele seien hier nur das StVG[206] und die ADV[207] erwähnt.

Eine gute Darstellung der weiteren — wenn auch spärlichen — dogmatischen Behandlung des besonderen Gewaltverhältnisses in Österreich bietet 1984 Szekulics, der sich mit dem Wehrrecht näher beschäftigt. Er selbst versteht unter diesem Begriff in Hinblick auf das in Österreich durch „Legalitätsprinzip, nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts und Garantie der Grundrechte”[208] festgelegte rechtsstaatliche Prinzip Rechtsbereiche, für die charakteristisch ist, „daß die bezogenen Forderungen der Verfassung in untergeordneten Normen nicht in dem Maße verwirklicht sind, wie es in der allgemeinen Verwaltung der Fall ist, in der nicht verschiedene Vorschriften an eine bestimmte Eigenschaft oder Funktion des Rechtsunterworfenen anknüpfen. Vereinfacht und daher ungenau: der Rechtsstaat mit negativem Vorzeichen.”[209] Zur Unterscheidung von dem „mit einem vorrechtsstaatlichen Odium” scheinbar untrennbar behafteten Begriff des besonderer Gewaltverhältnisses verwendet er den Terminus „besonderes Rechtsverhältnis”.[210]

Weissel, der sich intensiver mit der geschichtlichen Entwicklung des besonderen Gewaltverhältnisses auseinandersetzt, konstatiert für die österreichische Lehre, „daß sie den Begriff des besonderen Gewaltverhältnisses im Sinn der klassischen Lehre versteht und ihm in erster Linie Art 18 (1) B–VG entgegenhält”[211] und daß viele der negativen Stallungnahmen „auf einer überholten Definition der Rechtsfigur des besonderen Gewaltverhältnisses beruhen und ihre Argumente sich lediglich auf die unbeschränkte Geltung von Art 18 (1) B–VG beziehen, welche im übrigen unbestritten ist.”[212] Er gibt letztlich keine Antwort auf die Frage, ob es das besondere Gewaltverhältnis in der österreichischen Rechtsordnung überhaupt gibt,[213] hält aber fest, daß in jenen Bereichen, in denen der Einzelne in besondere Abhängigkeit zum Staat gerät, durch „eine spezielle Rechtsform, die Weisung oder Anordnung, und die damit verbundene Einschränkung des Rechtsschutzes” sowie durch „die umfangreiche personelle Erfassung des Rechtsunterworfenen und seine Unterwerfung unter eine Disziplinarordnung” doch eine weitgefaßte Dispositionsbefugnis auch in Österreich gibt;[214] unter dem Hinweis, daß diese Sonderbeziehungen voll und ganz dem Gedanken des Rechtsstaates unterworfen sind,[215] verwendet auch der den Begriff „besonderes Rechtsverhältnis”.[216]

Was den Rechtsschutz im besonderen Gewaltverhältnis betrifft, so erscheint vor allem aufgrund der Tatsache, daß Weissel sich mit dem Wehrrecht beschäftigt, seine Kritik an Ules Unterscheidung zwischen Grund– und Betriebsverhältnis verfehlt;[217] sie findet im österreichischen Recht allenfals auf das Beamten– und auf offene Anstaltsverhältnisse keine Anwendung.

Der Meinung Weissels, daß sich allein aus der für Österreich mehrfach festgestellten unzureichenden Verwirklichung des Legalitätsprinzips kein Beweis für die Existenz des besonderen Gewaltverhältnisses ableiten läßt, ist zuzustimmen;[218] er übersieht jedoch hierbei, daß der Beschluß des BVerfG vom 14. März 1972 weite Teile der deutschen Lehre dazu bewegt hat, das Legalitätsprinzip auch für das besondere Gewaltverhältnis anzunehmen,[219] sodaß spätestens seit diesem Zeitpunkt Art. 18 B–VG kein Kriterium für das Leugnen seiner Existenz sein kann. Indizien für die Existenz des besonderen Gewaltverhältnisses sind vielmehr in der bloßen Existenz von Weisungen[220] und Disziplinarnormen zu sehen.


10 Die heutige Bedeutung des besonderen Gewaltverhältnisses


Mit Ermacora[221] ist trotz der Ablehnung in der österreichischen Lehre in jedem Falle von der faktischen Existenz des besonderen Gewaltverhältnisses auszugehen. Dies nicht nur in Österreich: In jedem Staat gibt es für einen gewissen Kreis von Bürgern Sonderverhältnisse, die diese einer besonderen Abhängigkeit zum Staat unterwerfen.[222] Vor allem aber in einer demokratisch orientierten Gesellschaft[223] steht aber die Gestaltung der besonderen Gewaltverhältnisse im Interesse der Öffentlichkeit. So liegt es im öffentlichen Interesse, daß ein Beamter zur Verschwiegenheit verpflichtet,[224] ein Richter zwar unabhängig (d.h. vom besonderen Gewaltverhältnis in der Ausübung seines Amtes ausgenommen) ist, jedoch — als Ausdruck seiner großen persönlichen Verantwortung und um vor einem Mißbrauch dieser Unabhängigkeit abzuschrecken — einem besonderen Disziplinarrecht unterliegt, das ihn u.a. auch zu persönlicher Unvoreingenommenheit anhalten soll.

Diese Tatsache des berechtigten öffentlichen Interesses[225] ist meines Erachtens die Legitimation dafür, daß in Österreich viele Interessensvertretungen als Körperschaften (= Anstalten) öffentlichen Rechtes und nicht als private Vereinigungen organisiert und mit jeweils eigener Disziplinargewalt ausgestattet worden sind.[226]

Das Legalitätsprinzip des Art. 18 B–VG ist kein Hindernis für die Existenz des besonderen Gewaltverhältnisses; es äußert sich lediglich in einer — durchaus unerfreulichen — Normenflut,[227] die aber auch nicht in der Lage ist, das rechtsstaatliche Prinzip einigermaßen zu verwirklichen.[228] Gerade im Bereich des besonderen Gewaltverhältnisses, das typischerweise einer vollständigen Positivierung entzogen ist, können entsprechende Verrechtlichungsversuche die Verwendung von Generalklauseln nicht vermeiden.[229]

Daß sich der österreichische Rechtspositivismus nicht mit einem naturrechtlich geprägten Rechtsinstitut in Einklang bringen läßt, das, wie das besondere Gewaltverhältnis, auf Begriffe wie Disziplin, Verantwortung oder Pflichterfüllung abstellt, ist offensichtlich. Er führt aber gerade dazu, daß beispielsweise im Wehrbereich die aus demokratischer und rechtsstaatlicher Sicht verpönten „soldatischen Automaten”[230] erforderlich sind, die etwa auch rechtswidrigen Weisungen zu gehorchen haben.[231]

Die deutsche Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis kann der österreichischen Rechtswissenschaft zumindest als Orientierungshilfe dienen, den — vom positivistischen Standpunkt her — schwammigen, ja geradezu unsinnigen Begriffen wie „Disziplin” und „Pflichterfüllung” einen sinnvollen Inhalt geben zu können;[232] auf diese Weise könnte das Paradoxon aufgelöst werden, daß das Militärrecht vom Soldaten einerseits Disziplin verlangt, andererseits aber diesem Begriff vom Rechtspositivismus — und damit auch vom österreichischen Recht allgemein — der gesellschaftlich relevante, moralisch–sittliche Leitfaden genommen wird, sodaß die Ausgestaltung dieses Begriffes, die Interpretation von „Disziplin”, wieder im Ermessen des jeweiligen Vorgesetzten liegt. Zu einem solchen, wegen der Willkürgefahr aus rechtsstaatlichen Erwägungen bedenklichen und daher abzulehnenden Ergebnis kommt hingegen die Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis seit geraumer Zeit weitestgehend nicht mehr.



[52] § 3 Abs 2 S 1 ADV.

[53] Szekulics in JBl 231, rSp; vgl auch Loschelder in Merten 9.

[54] Richtig dagegen Ule in VVDStRL 15 180 mwN: „Das besondere Gewaltverhältnis ist also rechtlich weitgehend offen, nämlich für die Entwicklung und den Wandel, der sich in den äußeren Verhältnissen und in den Anschauungen der Menschen vollzieht.” Zur Notwendigkeit, das besondere Gewaltverhältnis aus seiner geschichtlichen Entwicklung heraus zu verstehen, vgl etwa Loschelder in Merten 16 f; Ronellenfitsch in Merten 34.

[55] Vgl weiter unten die Ausführungen zu Laband.

[56] Vgl Adamovich/Funk Allgemeines Verwaltungsrecht 204; Weissel Dissertation 10.

[57] Vgl zB Ermacora in DÖV 1956 529 ff; ders in ÖJZ 1969 665 rSp; ders Handbuch der Grundfreiheiten und Menschenrechte 80 ff; ders Grundriß der Menschenrechte in Österreich 82 RZ 317; Adamivich/Funk Allgemeines Verwaltungsrecht 203 ff; Adamovich/Funk Österreichisches Verfassungsrecht2 257 u 317; Walter/Mayer Verwaltungsverfahrensrecht4 RZ 73; Walter/Mayer Besonderes Verwaltungsrecht2 158; Geistlinger in ÖZöR 1982 82; Davy in ZfV 1991 560 mwN.

[58] Meyers Großes Taschenlexikon3 1990, Bd VIII 177.

[59] Zur Entstehung erster faktischer Gewaltverhältnisse in Frankreich über ihre Ausprägung im mittelalterlichen Lehenswesen bis hin zum neuzeitlichen Absolutismus vgl Wenninger Geschichte 15–32 mwN. Zu den allgemeinen rechtlichen Grundlagen in dieser Zeitspanne vgl Wenninger Geschichte 62–93. Zur Ausgestaltung des besonderen Gewaltverhältnisses bzgl des Wehrverhältnisses in dieser Zeit vgl Wenninger Geschichte 43–49; Huber Oberbefehl, Verfügungsrecht und Befehlsgewalt 1 ff.
Eine detaillierte Darstellung der Entwicklung des besonderen Gewaltverhältnisses würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen; vgl daher für eine genauere Darstellung Wenninger Geschichte 94–152 mwN.

[60] Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, 1794.

[61] Tit 10 II §§ 1–3 ALR; vgl dazu ua Hug–Beeli Wo liegt die Grenze? 33; Wenninger Geschichte 37 f.

[62] Carl Friedrich Wilhelm Freiherr von Gerber, 11.04.1823–23.12.1891; als sächsischer Kultusminister (seit 1871) betraut mit der Reform des Bildungswesens.

[63] Vgl Wenninger Geschichte 99 ff.

[64] Vgl Wenninger Geschichte 101 mwN.

[65] Wenninger Geschichte 100 u FN 42 mwN.

[66] So schon 1845 Schmitthenner Grundlinien des allgemeinen oder idealen Staatrechts 278: „Die Unterwerfung in jenen (öffentlichen Herrschaftsverhältnissen, Anm) ist an sich kein Rechtsverhältnis, sondern ein bloß sittliches Lebensverhältnis, welches aber dadurch, daß es durch eine Rechtsregel bestimmt und begrenzt wird, zu einem Rechtsverhältnis werden kann.” Zu Schmitthenner vgl Wenninger Geschichte 96.

[67] Vgl dazu auch die Begründung von von Gerber, warum er die Familienverhältnisse zu den organischen (natürlichen, Anm) Gewaltverhältnissen zählt: „... weil das begründende Moment beide Male nicht in der Willkür des privaten Willens, sondern in den höheren sittlichen Naturgrundlagen des Rechts zu suchen ist.” Zit nach Wenninger Geschichte 100.

[68] Vgl Ronellenfitsch in DÖV 1981 934 lSp.

[69] Vgl Laband Staatsrecht des Deutschen Reiches; zit nach Wenninger Geschichte 106.

[70] Irrtümlich wird oft angenommen, daß Mayer dies getan hat. Von ihm wurde der Begriff jedoch erst 1888 verwendet (vgl Wenninger Geschichte 130 u FN 149); unstrittig ist jedoch, daß seine Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis die bedeutendste seiner Zeit war. In diesem Sinne erscheint es gerechtfertigt, Mayer — und nicht Laband — als den eigentlichen Begründer der klassischen Theorie vom besonderen Gewaltverhältnis zu bezeichnen (vgl Wenninger Geschichte 105).

[71] Vgl Wenninger Geschichte 107 mwN.

[72] Riegel Dissertation 17 mwN.

[73] Vgl Riegel Dissertation 16 f; Wenninger Geschichte 107 f mwN.

[74] Wenninger Geschichte 109.

[75] Zum Rechtssatzbegriff Labands vgl Wenninger Geschichte 110 ff mwN.

[76] Zit nach Wenninger Geschichte 114 mwN. Zu Laband und zu seiner Begründung zum „rechtsfreien Raum” im besonderen Gewaltverhältnis vgl auch Köhl Die besonderen Gewaltverhältnisse im öffentlichen Recht 46–48.

[77] In diesem Kapitel wird ausschließlich die erste Auflage des Werkes von 1895/96 zitiert.

[78] Mayer Deutsches Verwaltungsrecht 18.

[79] Mayer Deutsches Verwaltungsrecht 79: „Das verfassungsmäßige Gesetz ist nur für gewisse besonders wichtige Gegenstände zur notwendigen Bedingung aller Staatstätigkeit gemacht worden. Für alle übrigen ist die vollziehende Gewalt an sich frei; sie wirkt aus eigener Kraft, nicht auf Grund des Gesetzes.”

[80] Mayer Deutsches Verwaltungsrecht 79: „Wir nennen den Ausschluß des selbständigen Vorgehens, der bezüglich jener ausgezeichneten Gegenstände besteht, den Vorbehalt des Gesetzes.” Zur historischen Entwicklung des Gesetzesvorbehaltes vgl Köhl Die besonderen Gewaltverhältnisse im öffentlichen Recht 14 f.

[81] Vgl dazu etwa Walter/Mayer Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts6 438 RZ 1335; Adamovich/Funk Allgemeines Verwaltungsrecht 86 f.

[82] Zu der die konstitutionelle Monarchie kennzeichnenden „Eigentums– und Freiheitsklausel” vgl Köhl Die besonderen Gewaltverhältnisse im öffentlichen Recht 14.

[83] Vgl Mayer Deutsches Verwaltungsrecht 61.

[84] Dies sind jene drei Möglichkeiten, durch die nach Mayer ein besonderes Gewaltverhältnis begründet werden kann.

[85] Paul Kahn Das besondere Gewaltverhältnis im öffentlichen Recht, Dissertation Baden–Baden 1912.

[86] Zit nach Wenninger Geschichte 142 mwN.

[87] Ebenda.

[88] Kahn ging sogar soweit, daß er einen gewöhnlichen Bürger aus dem allgemeinen in ein besonderes Gewaltverhältnis heraustreten läßt, sobald dieser beispielsweise ein Postamt betritt oder sich eine Eisenbahnfahrkarte kauft, da er sich dadurch der jeweiligen Anstaltsordnung unterwerfen muß, während bei Mayer die Begründung eines besonderen Gewaltverhältnisses nur bei Anstalten mit öffentlich–rechtlichem Charakter möglich war (Kranken–, Nervenheilanstalt, Schule, Strafanstalt).

[89] So ist es auch nicht verwunderlich, wenn Mayer (Deutsches Verwaltungsrecht 79) zur Bindung im besonderen Gewaltverhältnis schreibt: „Ehrlich gesprochen, erscheint es uns eben selbstverständlich, daß diese Gebundenheiten bestehen, alles andere ist nur Vorwand.” Die spätere Entwicklung, besonders jene nach dem Zweiten Weltkrieg, wird zeigen, daß dieser Satz sehr gern als bequemer Vorwand benutzt wurde, um auf die näheren Gründe dieser Bindungen nicht eingehen zu müssen.

[90] Zu Thoma vgl Wenninger Geschichte 149–152.

[91] So etwa in Seydel/Pilotry Staatsrecht3 669: „Hochschullehrer, Minister, Schulkind und Zuchthäusler — alle im gleichen besonderen Gewaltverhältnis!” Zit nach Wenninger Geschichte 155.

[92] So 1909 Freudenthal Die staatsrechtliche Stellung des Gefangenen. Vgl Wenninger Geschichte.

[93] Vgl Wenninger Geschichte 159.

[94] Vgl oben.

[95] Mayer Deutsches Verwaltungsrecht3 Vorwort zur 3. Auflage.

[96] Vgl Ronellenfitsch in Merten 38.

[97] Art 130 Abs 2 sowie Art 133 Abs 2 WRV. Vgl Ronellenfitsch in Merten 35; Wenninger Geschichte 196.

[98] Kiepe in DÖV 400 lSp; Luthe in DVBl 441 lSp, Wenninger Geschichte 193.

[99] So die objektiv gehaltene Würdigung von Wenninger Geschichte 193. Zum nachhaltigen Einfluß der Lehre Mayers vgl ua Hug–Beeli Wo liegt die Grenze? 34.

[100] Vgl dazu oben sowie FN 96.

[101] Vgl dazu Wenninger Geschichte 197–201.

[102] Dazu genauer Wenninger Geschichte 201–203.

[103] Wenninger Geschichte 170.

[104] Freudenberger Beiträge zur Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis. Vgl Wenninger Geschichte 239.

[105] Freudenberger Beiträge 167.

[106] Was bei Thoma noch die Ausnahme gewesen ist, ist bei Freudenberger die Regel: Das Gesetz (Grundrecht) bestimmt den inneren Ermessensspielraum der Verwaltung und damit den Grad der Beschränkung des Gewaltunterworfenen; vgl dazu oben sowie FN 90.

[107] So zB Brohm in DÖV 1964 240 lSp.

[108] Diese Zeit wird von den meisten Autoren übergangen, was darin seine Berechtigung finden mag, daß die Rolle, die das besondere Gewaltverhältnis damals gespielt hat, ohne Auswirkungen auf seine heutige Ausprägung geblieben ist. Ich folge daher im Wesentlichen der Darstellung Wenningers, die mE objektiv ist. Vgl Wenninger Geschichte 215–225.

[109] An diesem Tag übernahm Hitler neben dem Amt des Reichskanzlers (das er seit dem 30.01.1933 innehatte) auch das des Reichspräsidenten.

[110] Gleiches verlangt auch die Volksgemeinschaft von ihren einzelnen Mitgliedern; um dies durchsetzen zu können, werden die strafrechtlichen Bestimmungen dieser Zeit erheblich verscharft. Daß Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte in solch einem Klima nicht als Maßstab herangezogen werden, versteht sich von selbst.

[111] Zu Begriffen wie „Gehorsam” und Pflichterfüllung” im nationalsozialistischen Sinn vgl ua Hitler Mein Kampf zB 587, 593 ff; besonders deutlich Eggers Von der Freiheit des Kriegers; zum unbedingten Gehorsam und seinen negativen Folgen vgl Scheitlin in ASMZ 7/1954 484.

[112] Vgl dazu zB die Durchhaltepropaganda der Deutschen Wochenschauen, insb in den letzten beiden Kriegsjahren.

[113] RGBl 1939 I 1455; vgl dazu ua auch Schwinge Die Entwicklung der Mannszucht 54 f.

[114] Ergänzungsverordnungen vom 01.11.1939, 27.02.1940, 15.08.1942, 31.03.1943. 05.05.1944 und vom 10.10.1944.

[115] RGBl 1939 I 1609.

[116] RGBl 1939 I 1683.

[117] Vgl dazu ua § 5a Abs 1 KSStVO idF vom 05.05.1944: „... kann unter Überschreitung des regelmäßigen Strafrahmens die Strafe bis zur Höchstgrenze der angedrohten Strafart erhöht oder auf zeitiges oder lebenslanges Zuchthaus oder auf Todesstrafe erkannt werden, wenn der regelmäßige Strafrahmen nach gesundem Volksempfinden zur Sühne nicht ausreicht. ...”

[118] Wenninger Geschichte 218.

[119] In diese Zeit fällt auch die umfassende Darstellung und Kritik von Köhl (1955), der sich jedoch mit seiner Kritik — wie Krüger — hauptsächlich an der traditionellen Lehre orientiert; vgl ua Köhl Die besonderen Gewaltverhältnisse 82 f.

[120] BVerfG–Beschl vom 14.03.1972 (2 BvR 41/71) in DÖV 1972 561–563; vgl NJW 1972 811–814.

[121] Ermacora in VVDStRL 15 217 f. Zur Haltung der österreichischen Lehre zum besonderen Gewaltverhältnis siehe unten Kap B.9.

[122] Krüger in VVDStRL 15 109–132.

[123] Krüger in VVDStRL 15 109 mwN.

[124] Er bedeutet nichts weiter als einen Rückschritt in jene Zeit, in der — sehr vereinzelt — etwa das Betreten eines Postamtes noch als Eintritt in ein besonderes Gewaltverhältnis angesehen worden ist (zB Kahn). Nach seit langem herrschender Lehre wird dies zu Recht abgelehnt.

[125] Dies gilt bereits für Krüger in NJW 38/1953 mit seinen Zitaten traditioneller Theorien (zB 1369 lSp; 1371 rSp; 1372 lSp; vgl Krüger in VVDStRL 15 112 sowie 130 Leitsatz 4. Diese Gewalt als „unverfaßt” anzusehen, entspricht keineswegs den Tatsachen des Jahres 1956; zu viele Bereiche der besonderen Gewaltverhältnisse sind oder werden in dieser Zeit bereits durch „verfaßte” Normen geregelt. Vgl dazu etwa das dSoldG vom 19.03.1956 (RGBl I 114) oder den Entwurf zur deutschen Wehrbeschwerdeordnung, der als WBO am 23.12.1956 in Kraft getreten ist (RGBl I 1066). Vgl zur Kritik auch Weber in VVDStRL 15 (Aussprache) 186 f.

[126] So etwa Nawiasky in VVDStRL 15 (Aussprache) 213: „Gegenüber den vorwiegend staatsphilosophischen Äußerungen von Herrn Krüger möchte ich darauf aufmerksam machen, daß es sich um ganz allgemein–rechtliche Begriffe handelt.” Vgl auch Köhl Das besondere Gewaltverhältnis 82 f. Diese Flucht der Gegner des besonderen Gewaltverhältnisses in theoretisch–philosophische Abhandlungen ohne oder mit nur geringer Berücksichtigung seiner praktischen Bedeutung verstärkt sich bis in die späten sechziger Jahre; vgl etwa Brohm in DÖV 1964 238 ff.

[127] Krüger in VVDStRL 15 128 f sowie 132 Leitsätze IV/18 und IV/19. Kritisch dazu etwa Merk in VVDStRL 15 (Aussprache) 196 f.

[128] Ule in VVDStRL 15 133–185.

[129] Ule in VVDStRL 15 151.

[130] Ule in VVDStRL 15 151 f. Vgl für die spätere Entwicklung dazu auch Ule in Merten 79 f sowie Schenke in Merten 98 f. Für die Anstaltsverhältnisse vgl Thieme in DÖV insb 528 lSp.

[131] Ule in VVDStRL 15 154 ff; er zählt dazu zB die Ernennung, Entlassung oder Versetzung eines Beamten sowie etwaige Nebenpflichten wie das Verbot der politischen Betätigung.

[132] Ebenda. Vgl Thieme in DÖV 1956 528 lSp.

[133] Von den vielen Beispielen, die Ule angibt, sei an dieser Stelle nur das kurze Zeit vor der Staatsrechtslehrertagung 1956 in Kraft getretene dSoldG erwähnt, das für Klagen von Soldaten aus dem Wehrdienstverhältnis den Verwaltungsrechtsweg ermöglicht. Vgl dazu Ule in VVDStRL 15 153–155. zu den Anstaltsverhältnissen vgl Thieme in DÖV 1956 521–529, insb 528 f; die von ihm zitierte Schutzwürdigkeitstheorie Jellineks (528 rSp) führt zu ähnlichen Ergebnissen wie Ules Lehre, ist aber mE interpretationsbedürftiger als jene.

[134] Ule in VVDStRL 15 152.

[135] Ule in VVDStRL 15 155. Zu beachten sind auch die Begründungen (156 ff), insb jene für den nicht erforderlichen Rechtsschutz im Betriebsverhältnis bei offenen Anstaltsverhältnissen am Beispiel Schule (161): Ein — eventuell rechtswidriges — Verbot an Schülerinnen, in Hosen zur Schule zu kommen, ist dem Betriebsverhältnis zuzurechnen (Schulordnung!). Eine Regelung des Konfliktes bleibt den Beteiligten (Schüler, Eltern, Lehrer) überlassen. Erst dann, wenn der Gewaltunterworfene in seinen Rechten eingeschränkt wird und es zu einem Rückgriff auf das Grundverhältnis kommt (zB bei einem Schulverweis), wird der gerichtliche Rechtsschutz notwendig. Der Vergleich zu privaten Lebensbereichen, beispielsweise der Ehe, drängt sich hier geradezu auf; vgl auch Ule in VVDStRL 15 145 sowie Rottmann in EuGRZ 1985 288 rSp.

[136] Ein technisches Werturteil ist nach Ule dann gegeben, wenn eine (rechtliche relevante) Frage nach anderen als nach rechtlichen Gesichtspunkten zu beantworten ist (zB das Vorliegen einer Krankheit oder die Leistungsbereitschaft eines Schülers). Unvertretbar ist dieses Urteil dann, wenn ausschließlich eine bestimmte Person oder Personengruppe zur Beurteilung dieser Frage herangezogen werden kann, weil andere Personen (etwa ein Richter) oder Personengruppen (etwa eine pädagogische Hilfsorganisation) wegen mangelnder Sachkenntnis zur Beurteilung nicht geeignet sind (so ist es ausschließlich dem Fachlehrer eines Schülers möglich, seine Leistung während des Schuljahres im jeweiligen Gegenstand mit einer Note zu beurteilen). Vgl. Ule in VVDStRL 15 167 ff.

[137] Ule in VVDStRL 15 180 sowie Rottmann in EuGRZ 286 mit FN 92.

[138] Dies gilt aber nicht für eine indirekte Anwendung der Grundrechte, etwa als Leitfaden für die Beurteilung der Frage, wann dieser Rückgriff auf das Grundverhältnis erfolgt.

[139] Vgl dazu die idR positiven Stellungnahmen in der Aussprache: VVDStRL 15 187–226.

[140] Vgl dazu oben A.2.1.

[141] So zB Brohm in DÖV 1964; vgl etwa auch Riegel Dissertation 1975; Kiepe in DÖV 1979 339–405 ua; vgl auch Ronellenfitsch in DÖV 1981 933 rSp sowie FN 2 mwN. Die angesprochene dogmatische Verlagerung des Problems der Gesetzgebung durch Verwaltungsvorschriften, die ein Ergebnis des Beitrags von Kiepe ist, kann nicht gerade als dessen Lösung betrachtet werden. Fast allen Kritikern ist gemein, daß sie den aktuellen Stand der Entwicklung der Lehre nur wenig berücksichtigen und zur Begründung ihrer Ablehnung auf „überkommene Ansichten” zurückgreifen.

[142] Im BVerfGE 33 1 geht es um die Beschwerde eines Strafgefangenen, dessen Brief „mit beleidigendem Inhalt” nach einer an sich rechtmäßigen, weil durch die Anstaltsordnung gedeckten Kontrolle zurückgehalten wurde, wegen mehrfacher Grundrechtsverletzung (ua der Verletzung des Rechtes auf freie Meinungsäußerung gem Art 5 GG und Verletzung des Briefgeheimnisses iSd Art 10 GG). Das Gericht erklärte die Beschwerde für zulässig und begründet (6 gegen 2 Stimmen). Vgl DÖV 1972 561–563.

[143] Vgl DÖV 1972 562 lSp.

[144] DÖV 1972 561 rSp.

[145] Vgl dazu etwa oben die Darstellungen zu Otto Mayer.

[146] Vgl Ronellenfitsch in DÖV 1981 936 lSp.

[147] So bereits die klassische Lehre; vgl dazu aber auch Evers Das besondere Gewaltverhältnis (1972!) 7: „Ohne Zweifel ist der Anstaltszweck die äußerste Grenze der Anstaltsgewalt.” Auch das BVerfG stellt in seinem Beschluß auf den Anstaltszweck sowie auf den Zweck der Einschränkung des Briefgeheimnisses ab; vgl DÖV 1972 562 rSp.

[148] Vgl DÖV 1972 562 rSp: Der Grundrechtseingriff ist nur dann zulässig, „wenn er unerläßlich ist, um den Strafvollzug aufrechtzuerhalten und geordnet durchzuführen. Dabei sind Sinn und Zweck des Strafvollzuges zu berücksichtigen.”

[149] So Bundesrichter Wolf Bogumil Maetzel in den Anmerkungen zu diesem Beschluß in DÖV 1972 563 rSp. An ihm ist offenbar vorübergegangen, daß sich mittlerweile „das aus der konstitutionellen Monarchie tradierte patrimoniale Gewaltverhältnis in ein rechtsstaatlich–liberales Gewaltverhältnis verwandelt” hat; Evers Das besondere Gewaltverhältnis 19.

[150] Ule in VVDStRL 15 155 sowie 184 Leitsatz 9. Wie ua Ronellenfitsch zutreffend in DÖV 1981 936 rSp feststellt, haben die Beiträge des Richters Ule die Praxis weitgehend beeinflußt. Diese bei einer grundlegenden Entscheidung einfach unberücksichtigt zu lassen, legt den Verdacht einer einseitigen, möglicherweise politisch motivierten Argumentation nahe.

[151] Vgl DÖV 1972 562 rSp.

[152] „Die Grundrechte von Strafgefangenen können also nur durch oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden, das allerdings auf — möglichst engbegrenzte — Generalklauseln nicht wird verzichten können.” DÖV 1972 561 rSp. Dazu kritisch ua Ronellenfitsch in DÖV 1981 937 f; Ronellenfitsch in Merten 43; Ule in Merten 81 f.

[153] Veröffentlicht in Publications Série A Vol 22; Materialien in Publications Série B Vol 20; vgl dazu EuGRZ 1976 221–242; Berger Jurisprudence3 136–141; NJW 1976 811 ff ua.
Der Gerichtshof hat in seiner Plenarbesetzung (13 Richter; dazu näher Triffterer in EuGRZ 1976 363 mwN in FN 2) über die Individualbeschwerden wegen Konventionsverletzung (va in Bezug auf Art. 5 und 6 EMRK) von 5 Angehörigen der niederländischen Streitkräfte, gegen die verschiedene Disziplinarstrafen auf der Basis niederländischer Gesetze verhängt worden sind, entschieden. Ausführliche Veröffentlichung des Sachverhaltes in EuGRZ 1976 222 f.

[154] Ausdrücklich in Pkt 54: „En interprétant et applicant les normes de la Convention en l'espèce, la Cour doit cependent rester attentive aux particularités de la condition militaire et aux conséquences de celle–ci sur la situation des membres des forces armées.” Vgl Publications Série A Vol 22 23 (EuGRZ 1976 223). Auch wenn das „besondere Gewaltverhältnis” nicht expressis verbis genannt wird, so bedeutet doch das ausdrückliche Eingehen auf die „besonderen Verhältnisse des Militärs” faktisch das Anerkenntnis seiner Existenz. So auch Stein in EuGRZ 1976 285 lSp; verfehlt ist es jedoch mE, daß sich daraus ableiten läßt, der EGMR gehe daher von einer bereits durch das besondere Gewaltverhältnis automatisch eingeschränkten Geltung der Grundrechte aus; vielmehr lassen sich diese erst auf Grund der Konvention (und konventionskonformer nationaler Normen) einschränken. Vgl dazu Triffterer in EuGRZ 1976 367 lSp.

[155] Publications Série A Vol 22 23: „Ainsi que Gouvernement, Commission et requérants s'accordent à le penser, la Convention vaut en principe pour les membres des forces armées et non pas uniquement pour les civils.”

[156] Publications Série A Vol 22 23: „L'article 4 § 3 b) qui soustrait le service militaire à la prohibition du travail forcé ou obligatoire, confirme au demeurant qu'en règle générale les garanties de la Convention s'étendent aux militaires. Il en va de même de l'article 11 § 2 ...”

[157] Vgl Publications Série A Vol 22 34 ff (EuGRZ 1976 231 ff) Pkt 81 ff.

[158] Vgl Publications Série A Vol 22 35 (EuGRZ 1976 232) Pkt 82 Abs 3: „... qui aurait transgressé une norme juridique régissant le fonctionnement des forces armées, l'Etat peut en principe utililser contre lui le droit disciplinarie plutôt que le droit pénal.”

[159] Vgl Publications Série A Vol 22 34 (EuGRZ 1976 232) Pkt 81 Abs 4: „La Convention permet sans nul doute aux Etats ... de maintenir ou établir une distinction entre le droit pénal et droit discipliaire ...”

[160] Vgl Publications Série A Vol 22 34 (EuGRZ 1976 232) Pkt 81 Abs 5: „La Cour a donc compétence pour s'assurer ... que le disciplinaire n'empiête pas indûment sur le pénal.”

[161] Vgl dazu Publications Série A Vol 22 25–26 (EuGRZ 1976 225) Pkt 60–63.

[162] Ebenda; vgl dazu auch unten Kap F.

[163] Vgl dazu etwa für die Schweiz EuGRZ 1976 284 (Anfragen zweier Bundesräte zum Engel–Urteil über militärisches Disziplinarrecht) oder EuGRZ 1976 324 (Orientierungsschreiben an die Truppenkommandanten der Armee in Hinblick auf die EMRK und Disziplinarstrafrecht).

[164] Österreich war zB erst in jüngster Zeit in der Lage, durch die Novellierungen der StPO und des HDG einen entsprechenden Versuch in diese Richtung zu unternehmen.

[165] Vgl etwa Merten in Merten 5; Loschelder in Merten 9 f.

[166] Vgl als typisches Beispiel dafür die — wenn auch nicht einhellige — Argumentation des BVerfG im Urteil vom 02.03.1977 (2 BvR 1319 1976); hier ging es um die disziplinäre Bestrafung eines Soldaten, der Unterschriften gegen das Kernkraftwerk Wyhl gesammelt hatte.

[167] Vgl Merten in Merten 60.

[168] Luthe in DVBl 1986 443 rSp mwN.

[169] Gemeint sind etwa ein „Geheimnisträger eines Rüstungsbetriebes” oder „ein Astronaut, der einer technisch bedingten Disziplinierung unterliegt, deren Intensität das tradierte Gewaltverhältnis weit in den Schatten stellt.” Vgl Evers Das besondere Gewaltverhältnis 21.

[170] Luthe in DVBl 1986 446 lSp mwN.

[171] Vgl Luthe in DVBl 1986 451 lSp.

[172] Gegen die „Terminologiereform” äußert sich zu Recht Loschelder in Merten 12.

[173] Kiepe in DÖV 1979 402 lSp; das veranlaßt ihn auch zur Feststellung: „Das besondere Gewaltverhältnis hat als 'Relikt des Obrigkeitsstaates' aufgehört zu existieren”; Kiepe in DÖV 1979 402 rSp.

[174] Vgl dazu etwa BayVerfGH 1968; abgedruckt in DÖV 1968 282–284.

[175] Kiepe in DÖV 1979 403. Das allgemeine Gewaltverhältnis steht nicht einem Grund– und einem Betriebsverhältnis gegenüber, wie Kiepe annimmt, sondern dem besonderen Gewaltverhältnis als Ganzes; Ules Zweiteilung dient lediglich der Beurteilung des besonderen Gewaltverhältnisses an sich.

[176] Sein praktischer Sinn ist wohl darin zu sehen, entstehende Konflikte möglichst klein zu halten, quasi „vor Ort” lösen zu können und somit letztlich die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu entlasten. Ein Vergleich mit der Argumentation des EGMR im Fall Engel ua drängt sich auf: Auch hier wird eine Freiheitsbeschränkung nicht unter Art 5 Abs 1 EMRK subsumiert, da sie als disziplinäre Maßnahme den Betrieb des Militärdienstes betrifft; erst dann, wenn auch das Grundverhältnis berührt wird, greift der Grundrechtsschutz der Konvention. Zu bedenken ist aber hierbei auch, daß Ule bereits 1956 im Wehrrecht den Grundrechtsschutz auch im Betriebsverhältnis für notwendig erachtet hat! Vgl VVDStRL 15 155.

[177] Vgl Kiepe in DÖV 1979 404 rSp. Zu den Konsequenzen — auch der Rechtsprechung des BVerfG — vgl Kiepe in DÖV 1979 405 rSp: „Damit scheint das Problem der Gesetzgebung durch Verwaltungsvorschriften, das im Bereich des sogenannten besonderen Gewaltverhältnisses gerade weitgehend gelöst worden ist, im allgemeinen Gewaltverhältnis wieder aufzutauchen.” Diese Verlagerung des Problems bedeutet aber wohl nicht gleichzeitig seine Lösung!

[178] So zB Hesse Grundzüge des Verfassungsrechtes18 137 RZ 324 ff.

[179] Vgl Szekulics in JBl 1984 234 lSp.

[180] Merten in Merten 61 mwN.

[181] Merten spricht zu Recht mit Skepsis von „modernem Umtäufertum”, das nur allzu leicht zur Aushöhlung eines Begriffes führt. Merten in Merten 55.

[182] Vgl Merten in Merten 54 ff; das angesprochene „Begriffsmißverständnis” scheint manchmal absichtlich als Mittel zur Bekämpfung des besonderen Gewaltverhältnisses verwendet worden zu sein. Dieser Verdacht wird erhärtet durch die Schnelligkeit, mit der es vielerorts zu Grabe getragen worden ist (vgl dazu etwa Ronellenfitsch in DÖV 1981 933 rSp, 938 rSp sowie zu den Vertretern der gegnerischen Auffassung ders in Merten 34 FN 4 mwN). Es ist jedenfalls mE nicht einzusehen, warum „der Begriff 'besondere Gewaltverhältnisse' mit einem vorrechtsstaatlichen Odium untrennbar behaftet zu sein scheint” (Szekulics in JBl 1984 234; vgl dazu Brohm in DÖV 1964 238), denn „staatliche Gewalt ist nicht mit physischer oder körperlicher Gewalt identisch” (Merten in Merten 54). Beachtenswert auch Ronellenfitsch in Merten 36 ff mit seiner Argumentation gegen die „Wortkosmetik”: „Gewalt ist kein Unwert an sich. Eine Bewertung des Gewaltbegriffes setzt vielmehr Kenntnis der Umstände voraus, wer wemgegenüber aus welchen Gründen Gewalt ausübt. Daß der Staat nach innen und außen Staatsgewalt ausüben muß, ist selbstverständlich. So empfindet niemand die Gewaltenteilungslehre als anrüchig, obwohl sie logisch das Vorhandensein von Staatsgewalt voraussetzt.” Dieser Aspekt wird von den Gegnern der Lehre konsequent nicht beachtet. Solange es aber staatliche Gewalt — etwa zur Aufrechterhaltung und Durchsetzung demokratischer, rechtsstaatlicher Prinzipien — gibt, existieren notwendigerweise auch Gewaltverhältnisse in verschiedener Intensität. Vgl aber auch den Schweizer Standpunkt in der Stellungnahme von Hug–Beeli Wo ist die Grenze? 37 f sowie den Spruch des Schweizer Bundesgerichtes: „Ob dieses spezifische Abhängigkeitsverhältnis entsprechend der herkömmlichen Terminologie als besonderes Gewaltverhältnis bezeichnet wird oder ob man aus psychologischen Gründen den Begriff der Gewalt vermeidet und — nicht klarer, aber weniger hart — von einem besonderen Rechtsverhältnis oder einem besonderen Pflichtverhältnis spricht, hat auf die sich dabei stellenden verfassungsrechtlichen Fragen keinen Einfluss.” BGE 99 Ia 268; zit nach Hug–Beeli Wo ist die Grenze? 36.

[183] Vgl Loschelder in Merten 12.

[184] Die notwendigen Anpassungen an die verfassungsmäßigen Gegebenheiten sind bereits auf der Staatsrechtslehrertagung von 1956 erfolgt.

[185] Veröffentlicht in Merten (Hrsg) Das besondere Gewaltverhältnis.

[186] Vgl Ronellenfitsch in DÖV 1981 938 rSp.

[187] Ronellenfitsch in DÖV 1981 938 mwN; ders in Merten 36.

[188] Ronellenfitsch in DÖV 1981 941 rSp.

[189] Damit spricht Ronellenfitsch jedoch eine Notwendigkeit an, die sich aus der Entwicklung spätestens mit dem Ende der konstitutionellen Monarchie und dem Inkrafttreten der Weimarer Verfassung schon in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts quasi selbstverständlich ergeben mußte; das besondere Gewaltverhältnis wäre sonst längst in Vergessenheit geraten. Fraglich ist jedoch, ob dieses Rechtsinstitut — in der konstitutionellen Monarchie — nicht eher als eine staatsrechtliche als eine verfassungsrechtliche Kategorie anzusehen wäre; vgl dazu Loschelder in Merten 18.

[190] Vgl Loschelder in Merten 28. Vgl zur älteren Lehre auch VVDStRL 8 sowie Ule in VVDStRL 15 184–264. Zu Art 19 Abs 4 GG vgl etwa Ule in Merten 79; Schenke in Merten 83–99, insb 98: Zusammenfassung und Thesen; Hesse Grundzüge des Verfassungsrechtes18 139 RZ 328 ff; Leibholz/Rinck/Hesselberger Grundgesetz6 Bd 1.

[191] Vgl Loschelder in Merten 32; Ronellenfitsch in Merten 51.

[192] Luthe in DVBl 1986 445 lSp.

[193] Vgl dazu etwa die Rechtsprechung des VfGH zu §§ 29 und 42 HDG in VfSlg 11561/87 (G 161, 162, 201/87); die strenge Auslegung des Art 18 B–VG durch den VfGH bewirkt, daß gesetzliche Bestimmungen häufig wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben werden müssen; vgl dazu Öhlinger in EuGRZ 1982 244 rSp. Das Problem entsteht bereits bei der Rechtssetzung durch die Vielzahl von Einflüssen und Verfahrensschritten, die besonders im Bereich der Verwaltung einem Gesetzesbeschluß vorangehen; vgl dazu die schematische Übersicht in Schäffer Theorie der Rechtssetzung 226; bei jedem dieser Schritte müßte jeweils ein Vergleich des entstehenden Gesetzes mit dem Menschenrechtskatalog stattfinden — angesichts der Normenflut ein schier unmögliches Unterfangen!

[194] Zum Nachweis der Wesensgleichheit von zivilen Weisungen und militärischen Befehlen vgl Roniger Heer und Demokratie 168–171; vgl auch Walter/Mayer Grundriß7 265 RZ 733.

[195] Nicht nur im Bereich der Verwaltung, sondern auch in der Gerichtsbarkeit ist häufig versucht worden, diesen direkten Durchgriff zu vermeiden; vgl dazu Öhlinger in EuGRZ 1982 231 lSp. Diese Tendenz ist jedoch rückläufig; vgl Öhlinger in EuGRZ 1982 231 rSp. Die Graphik unterstreicht die Aussagen unten Kap F. Zitierte Normen sind nur beispielhaft angeführt.

[196] Kelsen bezeichnete die Unterscheidung zwischen Rechtsnormen und relevanten Nicht–Rechtsnormen als „unsinnig” und „groteske Konsequenz der herrschenden Theorie”. Zit nach Wenninger Geschichte 197 mwN; vgl Kelsen Reine Rechtslehre 405: „Denn diese Natur ist ein Inbegriff von Tatsachen, die miteinander nach dem Kausalitätsprinzip ... verknüpft sind, ein Sein; und aus einem Sein kann kein Sollen, aus einer Tatsache keine Norm geschlossen werden; ... Diese Haltung widerspricht der Zweckbestimmtheit des besonderen Gewaltverhältnisses sowie überhaupt dem finalen Element menschlicher Gesellschaft, dessen Existenz Kelsen nicht sieht.

[197] Wenninger Geschichte 197. Vgl auch Ermacora in DÖV 1956 529 lSp: „Der Begriff des besonderen Gewaltverhältnisses ist weder in der von den Vertretern der österreichischen Rechtswissenschaft verwendeten Terminologie, noch in der Sprache der österreichischen Rechtspraxis heimisch.” Vgl dazu jedoch auch Bußjäger in ÖJZ 1993 186 lSp.” Zw dem von Kelsen beschriebenen logischen Auseinanderklaffen von Sein und Sollen einerseits und einem solchen Rückzug des Staates aus seinem Territorium mit der Schöpfung autonomen, nicht–staatl Rechts andererseits liegt ein weiter Bereich. Es gibt aber auch in der österreichischen Rechtsordnung Zeichen dafür, daß zw dem Sein und Sollen immer größer wird und die staatl Normen immer weniger Gehorsam finden, ...”

[198] Vgl Ermacora in DÖV 1956 529.

[199] Bemerkenswert ist, daß sich die Lehre in der Schweiz wesentlich intensiver mit dem besonderen Gewaltverhältnis befaßt; vgl für diese Zeit Köhl Das besondere Gewaltverhältnis (kritisch) mwN; vorher Fleiner Schweizerisches Staatsrecht; später Hug–Beeli Wo ist die Grenze? mwN.

[200] Vgl Ermacora in VVDStRL 15 217 (Aussprache); ders in DÖV 530 lSp.

[201] Dies iSd Art 18 B–VG der „eindeutig Kelsens Werk” ist; vgl Stourzh ua 25 mwN.

[202] „... die das Individuum zum Staat in ein Naheverhältnis bringen, das von ideellen Momenten, wie 'Treue', 'Disziplin', 'Gehorsam', 'Pflichterfüllung' u.ä. gekennzeichnet ist, wobei diese ideellen Momente nicht selten zu Rechtsbegriffen erhoben werden.” Ermacora in DÖV 1956 530 lSp.

[203] Ermacora in DÖV 1956 531: „... in denen das Individuum, von dem Wunsch auf Befriedigung scheinbar notwendiger Daseinsbedürfnisse (...) getrieben, einem Partner gegenübertritt, der es sich kraft seiner immensen Kapazität zur Aufgabe stellt, die Befriedigung dieser Bedürfnisse in der Hauptsache auf seine eigene Rechnung zu übernehmen.” Ermacora spricht hiermit die „Körperschaften öffentlichen Rechts” an. Daß hier staatliche Macht unentrinnbar einem bestimmten Adressatenkreis gegenübersteht, ist schon an der Zwangsmitgliedschaft bei den verschiedenen Kammern sowie an dem Vorhandensein eines Disziplinarrechtes ersichtlich. Die deutsche Lehre hätte wohl auch die modernen besonderen Gewaltverhältnisse (mit der nachfolgend dargestellten Ausnahme) in die Anstaltsverhältnisse eingereiht.
Die Monopolstellung gewisser staatlicher Betriebe (E–Werke, Bundesbahnen etc) unter dem besonderen Gewaltverhältnis zu subsumieren (aaO 532), ist jedoch mE nicht angebracht; abgesehen von der Tatsache, daß es in Österreich auch Privatbahnen und private Stromerzeuger gibt (wenn auch nur in sehr beschränktem Rahmen), fehlen entscheidende Merkmale für dieses Rechtsinstitut (wie zB das Disziplinarrecht), daher sind diese Bereiche eindeutig dem allgemeinen Gewaltverhältnis zuzuordnen (Adressaten sind hier auch jeweils alle Bürger und nicht nur ein scharf umrissener Teil derselben!).

[204] Ermacora in DÖV 1956 530 rSp.

[205] Ermacora in DÖV 1956 532 rSp. Die Privatwirtschaftsverwaltung entzieht sich der wirksamen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle, „weil man sich in der Regel gegen derartige Akte nicht wehren kann ... schließlich ist es aus Gründen des Wortlautes positiven Rechtes nicht schlüssig, Akte des Leistungsträgers 'Staat' als Bescheide anzusehen, die allein nach Art. 130 und 144 B.–VG bei den Gerichtshöfen öffentlichen Rechtes angefochten werden können.” (aaO FN 44)

[206] StVG BGBl 144/1969; Vgl dazu Ermacora in ÖJZ 1969 654–657.

[207] Verordnung der Bundesregierung vom 9. Jänner 1979, BGBl 43/1979, über die Allgemeinen Dienstvorschriften für das Bundesheer. Ein ausführlicher Kommentar hierzu ist erst 1991 erschienen; vgl Löffler ADV.

[208] Szekulics in JBl 1984 231–234 lSp. Auf die in den verschiedenen österreichischen Lehrbüchern abgedruckten Erwähnungen des besonderen Gewaltverhältnisses soll hier nicht näher eingegangen werden; sie nehmen fast ausnahmslos eine kritische Haltung ein, beziehen sich jedoch im Regelfall auf die klassische Lehre. Vgl dazu oben Kap B.1 mwN.

[209] Szekulics in JBl 1984 234 lSp.

[210] Ebenda; dies ist durchaus im Sinne Kelsens zu verstehen, der bemüht gewesen ist, „die Gewaltenterminologie zu beseitigen und sie durch eine reine Rechtsterminologie zu ersetzen” (vgl Stourzh ua 28 f mwN). Vgl dazu jedoch die Ausführungen zur „Begriffskosmetik” oben Kap B.8.

[211] Weissel Dissertation 8 FN 22.

[212] Weissel Dissertation 10.

[213] Weissel Dissertation 31.

[214] Ebenda; Hervorhebungen nicht im Original.

[215] Weissel gibt keine Antwort darauf, wie diese Äußerung mit der durch die weite Dispositionsbefugnis des Staates verbundenen Einschränkung des Rechtsschutzes in Einklang zu bringen wäre.

[216] Vgl dazu jedoch die Ausführungen zu Szekulics.

[217] Wie bereits mehrfach erwähnt, tritt Ule für einen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz auch im Betriebsverhältnis im Bereich des Wehrrechts und der geschlossenen Anstalten ein; vgl Weissel Dissertation 18 f. Weissel erkennt nicht, daß die von ihm zitierten Normen (§ 120 StVG sowie § 47 WG und §§ 12–14 ADV) für den Strafgefangenen und den Soldaten zum selben Ergebnis des Rechtsschutzes im Betriebsverhältnis führen wie Ules Theorie. So ist — entgegen der Ansicht Weissels — „der Zugang zu den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts” auch in Deutschland (sowohl in der Theorie als auch in der Praxis) nicht auf die Angelegenheiten des Grundverhältnisses beschränkt; vgl Weissel Dissertation 19; Ule in VVDStRL 15 154 iVm § 59 dSoldG 1956.

[218] Weissel Dissertation 14 mit dem Argument, daß „das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage oder die Fehlerhaftigkeit derselben die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes zur Folge” habe; diese Konsequenz sieht zB Szekulics in JBl 1984 236 rSp nicht; vgl dazu auch Ermacora in DÖV 1956 530 lSp: „... ohne gesetzliche Grundlage oder ohne hinreichende gesetzliche Grundlage in verfassungswidriger Weise ihr Eigenleben führen ...”.

[219] Vgl Ronellenfitsch in Merten 36.

[220] Diese Weisungen haben sich natürlich — wie das selbst die klassische Lehre bereits festgelegt hat — zumindest an dem (in Normen festgelegten oder aus solchen zu interpretierenden!) Zweck des besonderen Gewaltverhältnisses zu orientieren, sodaß sich die angesprochene Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes nur bei fahrlässig oder vorsätzlich rechtwidrig erteilten Weisungen, nicht aber aus dem Fehlen gesetzlicher Bestimmungen ergeben kann. Vertritt man die Haltung Weissels konsequent für das österreichische Heeresdisziplinarrecht, so ergibt sich aus den Ausführungen von Szekulics zur „eklatanten Fehlerhaftigkeit der ADV”, daß das HDG aufgrund des Fehlens materieller Bestimmungen der ADV gar nicht durchführbar ist — eine positivistische, aber für die Landesverteidigung durchaus unbefriedigende Lösung.

[221] Ermacora in VVDStRL 15 217 (Aussprache).

[222] Vgl Ronellenfitsch in Merten 37: „... das besondere Gewaltverhältnis ist eine Gegebenheit. Es ist eine Binsenwahrheit, daß der einzelne außer im Staat in zahlreichen Ordnungen lebt, für die Eigengesetzlichkeiten gelten. Es wäre daher sehr außergewöhnlich, wenn im Verhältnis zum Staat selbst nur ein einheitliches Rechtsverhältnis in Betracht käme.” In diesem Zusammenhang spielt es auch überhaupt keine Rolle, wie diese Sonderverhältnisse benannt werden.
Da mit der Aufrechterhaltung des Staatsgebildes sowie zur Erreichung des Staatszieles va in demokratischen Gemeinschaften Gewalt (auch hier nicht im physikalischen Sinne) zwingend notwendig ist, um das Gefüge nicht auseinanderfallen zu lassen (Merten in Merten 56: „Ein Staat ohne Herrschaft führt konsequent in die Anarchie. Diesen Weg können nur Tagträumer und Staatsutopisten leugnen, die über eine proletarische Diktatur in Negierung des Negativen zur Herrschaftslosigkeit gelangen wollen”), schließe ich mich „begrifflicher Kosmetik” (vgl Merten in Merten 55) nicht an und bleibe beim „besonderen Gewaltverhältnis”.

[223] In totalitären Regierungsformen findet regelmäßig eine Ausweitung der Gewalt (auch im physischen Sinne) auf das allgemeine Gewaltverhältnis statt; vgl dazu auch die Ausführungen zum besonderen Gewaltverhältnis im Dritten Reich oben Kap B.5.

[224] Aus einer Verletzung dieser Schweigepflicht etwa könnten den dem allgemeinen Gewaltverhältnis unterworfenen Betroffenen erhebliche Nachteile erwachsen.

[225] Dieses öffentliche Interesse an einem besonderen Status des Gewaltunterworfenen halte ich für ein wichtiges Unterscheidungskriterium zwischen allgemeinem und besonderem Gewaltverhältnis.

[226] Vgl dazu Ermacora in DÖV 1956 531. Dies gilt etwa für Rechtsanwälte, Notare, Richter, Ärzte und Apotheker; ausführlich zu diesem Bereich Krismer Dissertation. Im Gegensatz dazu liegt daher eine eventuell gesatzte Verschwiegenheitspflicht eines Vereinsmitglieds über interne Vorgänge nicht im öffentlichen, sondern nur im (privaten) Vereinsinteresse. Die disziplinäre „Gewalt” des Vereines leitet sich daher nicht von der staatlichen ab, sodaß hier von einem besonderen Gewaltverhältnis keine Rede sein kann: Das Vorhandensein einer Disziplinarordnung allein ist somit kein zwingender Hinweis auf die Existenz des besonderen Gewaltverhältnisses!

[227] Vgl zu ihren negativen Begleiterscheinungen etwa Bußjäger in ÖJZ 1993 185 ff. Auch im militärischen Bereich hat sie Auswirkungen; man denke hier nur an die Unzahl von Weisungen, die das BMLV täglich produziert und die allein wegen ihrer Zahl und kurzen Aufeinanderfolge kaum mehr exekutierbar sind.
Aus diesem Grund und angesichts der allgemeinen Normenflut ist es daher mE nicht mehr erstaunlich, daß immerhin fünf Jahre bis zu einer ersten kritischen Stellungnahme zur Position der ADV im österreichischen Recht von Szekulics in JBl 1984 verstreichen konnten. Es erscheint bedenklich, daß „eklatante verfassungsrechtliche (!) Fehlerhaftigkeiten" (aaO 235 lSp) hierzulande selbst nach längerer Existenz kaum auffallen und bis heute nicht saniert sind.

[228] Vgl dazu etwa Walter/Mayer Grundzüge des Verfassungsrechts7 RZ 165 ff, insb 167.

[229] Vgl zu den unbestimmten Gesetzesbegriffen und Generalklauseln oben Kap B.6.2 mwN zur bekannten Aussage des BVerfG in seinem Beschluß vom 14.03.1972. Dazu auch Szekulics in JBl 234 rSp; Weissel Dissertation 12–14. Dieser Nachteil wird mE durch die absolute Zweckorientierung im besonderen Gewaltverhältnis wieder wettgemacht.

[230] Dagegen etwa Triffterer/Binner in EuGRZ 1977 137 lSp sowie 138 lSp.

[231] Es sei denn, sie kämen von einer (offensichtlich) unzuständigen Stelle oder ihre Befolgung verstieße (offensichtlich) gegen strafrechtliche Bestimmungen; vgl § 7 Abs 2 und Abs 5 Z 1 ADV sowie § 47 Abs 3 WG; vgl Art 20 Abs 1 letzter Satz B–VG. Auffallend ist, daß der Verstoß gegen (elementare) Grundrechte nicht mit einbezogen ist; hier wird eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Eingriffes erst im Nachhinein stattfinden können.
Zurückzuführen ist dieses Problem — va im militärischen Bereich — auf Kelsens Leugnen absoluter Werte; vgl Kelsen Reine Rechtslehre2 402: „Ein positives Recht gilt nicht darum, weil es gerecht ist, das heißt: weil seine Setzung einer Gerechtigkeitsnorm entspricht, und gilt auch, wenn es ungerecht ist.” Bei der praktischen Anwendung einer solchen Aussage im Bereich des militärischen Befehls hat dies eindeutig negative Auswirkungen auf die Motivation der Soldaten, denn sie bedeutet: Gehorchen um jeden Preis. Auf diese Weise wird ein freiwilliges Unterwerfen unter die Befehlsgewalt des Vorgesetzten als wesentliches Merkmal der Disziplin verhindert. Die ADV mit ihren unbestimmten Begriffen und Generalklauseln (vgl dazu Szekulics in JBl 1984 235 rSp; oben Kap B.6.2 mwN zur bekannten Aussage des BVerfG in seinem Beschluß vom 14.03.1972; Weissel Dissertation 12–14), von denen der GWD annimmt, daß sie im Zweifel zu seinen Ungunsten ausgelegt werden, ist mE nicht geeignet, auf die Motivation der Soldaten — und damit auf ihre Disziplin, ihren Willen zur freiwilligen Unterwerfung — positiv einzuwirken. Vgl dazu auch Auer OSB Würde und Freiheit des Menschen 8.

[232] Ohne diesen Inhalt scheitert va eine demokratische Gesellschaftsordnung am mangelnden Selbstverständnis ihrer Mitglieder.






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