Das österreichische Militärstraf- und Heeresdisziplinarrecht
im Lichte von Art. 5 und 6 EMRK

C Freiheitsentziehende Sicherungsmaßnahmen und disziplinäre Strafen im militärischen Bereich

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„Disziplinär strafbar ist nur, wer schuldhaft handelt.” [233]


1 Die Sicherungsmaßnahmen


1.1 Festnahme– und Verwahrungsrecht von der Begehung einer strafbaren Handlung verdächtigen Personen


Die Befugnis, freiheitsentziehende Sicherungsmaßnahmen im militärstrafrechtlichen Bereich anzuordnen und durchzuführen, gründet sich auf § 502 StPO. Danach sind Kommandanten sowie Soldaten, die dem für Sicherheit und Ordnung verantwortlichen jeweiligen Kommandanten zur Unterstützung unterstellt sind,[234] und Wachen[235] berechtigt, bei Gefahr in Verzug und Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs. 1 Z. 1 und 2 StPO eine vorläufige Festnahme sowie die Verwahrung des Verdächtigen in einen Haftraum nach Maßgabe des § 177 Abs. 2–4 StPO anzuordnen bzw. durchzuführen.[236] Die zur Festnahme berechtigten genannten Personen sind Organen der Sicherheitsbehörden im Sinne des § 177 Abs. 1 StPO gleichgestellt, die vorläufige Verwahrung ist „zum Zwecke der Vorführung vor den Untersuchungsrichter” durchzuführen.


1.2 Vorläufige Festnahme von Soldaten bei Vorliegen einer Pflichtverletzung


Die in § 43 Abs. 2 HDG genannten Personen[237] sind befugt, nach Maßgabe des § 43 Abs. 1 Z. 1–3 HDG Soldaten, die bei einer disziplinär zu ahndenden Pflichtverletzung auf frischer Tat betreten werden, zum Zwecke der Vorführung vor die zuständige Disziplinarbehörde vorläufig festzunehmen. Um Willkürmaßnahmen des Festnehmenden möglichst zu unterbinden, ist der Festgenommene unter Beachtung von § 44 HDG unverzüglich seinem Einheitskommandanten[238] zur Anhaltung im Haftraum zu übergeben, soferne der Festnahmegrund nicht schon während oder unmittelbar nach der Festnahme wegfällt.[239] Spätestens nach 24 Stunden ist der Festgenommene freizulassen.[240]


2 Strafen


2.1 Allgemeines


Reicht bei einem die Bedingungen[241] des § 2 Abs. 1–3 HDG erfüllenden Untergebenen nach Ansicht des Vorgesetzten eine bloße Belehrung oder Ermahnung nicht aus, ist er gehalten, ihn disziplinär zur Verantwortung zu ziehen.[242]

Sind außerdem möglicherweise Tatbestände nach dem MilStG oder StGB verwirklicht, ist vom Disziplinarvorgesetzten zusätzlich zur Einleitung des Disziplinarverfahrens Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft zu erstatten.[243]

Bei der Strafbemessung, die sich an der Schwere der Pflichtverletzung zu orientieren hat,[244] sind frühere Pflichtverletzungen,[245] die eventuell verhängte gerichtliche oder verwaltungsbehördliche Strafe[246] sowie die persönlichen Verhältnisse und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Beschuldigten[247] zu berücksichtigen.

Der Bundespräsident hat das Recht, Disziplinarstrafen zu mildern, zu erlassen oder die Einleitung eines Disziplinarverfahrens zu verhindern beziehungsweise es auf seine Anordnung hin einstellen zu lassen.[248]


2.2 Arten der Disziplinarstrafen[249]


2.2.1 Disziplinarstrafen für Soldaten, die den Grundwehrdienst leisten


Die für Grundwehrdiener möglichen Strafen[250] sind der Verweis,[251] die Geldbuße,[252] das Ausgangsverbot,[253] die Unmöglichkeit der Beförderung und die Degradierung.[254] Das Ausgangsverbot kann gemäß § 47 Abs. 1 HDG für mindestens einen und höchstens 14 Tage verhängt werden. Wenn mildernde Umstände überwiegen, kann der Ausgang auch nur teilweise, nämlich nur zu bestimmten Zeiten verhängt werden. Der volle Entzug des Ausgangs kann bei Überwiegen erschwerender Umstände durch Heranziehung zu Dienstleistungen für maximal zwei Stunden sowie durch die Verpflichtung, gewisse Teile des Unterkunftsbereiches nicht zu verlassen, verschärft werden.[255] In jedem Falle sind dem Bestraften das Verlassen des Unterkunftsbereiches ohne Genehmigung eines Vorgesetzten, der Besuch des Soldatenheimes sowie der Konsum berauschender Mittel verboten.[256] Kann das Ausgangsverbot nicht (vollständig) vollstreckt werden, tritt an seine Stelle eine Ersatzgeldstrafe.[257]


2.2.2 Disziplinarstrafen für Soldaten, die nicht den Grundwehrdienst leisten[258]


§ 50 HDG normiert als Disziplinarstrafen für diese Gruppe von Soldaten den Verweis,[259] die Geldbuße[260] und die Geldstrafe.[261] Als schärfste Strafen werden die Entlassung mit ihren weitreichenden Folgen[262] wie die Unfähigkeit zur Beförderung beziehungsweise die Degradierung genannt.[263] Freiheitsbeschränkende oder –entziehende Maßnahmen sind nicht vorgesehen.


2.2.3 Disziplinarstrafen für andere Soldaten


Die einzige disziplinäre Maßnahme, die Wehrpflichtige des Miliz– und Reservestandes treffen kann, ist die Degradierung, die auch die Unfähigkeit zur Beförderung innerhalb von drei Jahren nach sich zieht.[264]

Für Berufssoldaten des Ruhestandes werden der Verweis, die Geldstrafe sowie der Verlust aller aus dem Dienstverhältnis fließenden Rechte und Ansprüche mit den in § 57 Abs. 4 Z. 1 und 2 HDG bezeichneten Folgen genannt. Auch hier sind freiheitsentziehende Maßnahmen nicht vorgesehen.


2.2.4 Disziplinäre Maßnahmen im Einsatz[265]


Die in § 81 Abs. 1 Z. 1–6 HDG aufgezählten Disziplinarstrafen[266] sind auf alle Soldaten — ohne Rücksicht auf ihren Dienstgrad — anzuwenden. Die freiheitsbeschränkenden respektive freiheitsentziehenden Maßnahmen (Z. 3 bis 5) können bis zu einer Höchstdauer von 504 Stunden (21 Tage) verhängt werden.

Das Ausgangsverbot ist in § 81 HDG nicht näher geregelt, hier gilt das unter C.2.2.1 Gesagte. „Die Diszipinarhaft besteht in der Abschließung des Bestraften in einem Haftraum während der gesamten Strafdauer, soweit er nicht am Dienst teilnimmt.[267]

Beim Disziplinararrest hingegen verbringt der Bestrafte die gesamte Strafdauer in einem Arrestraum, er nimmt am Dienst nicht teil.[268]

Die beiden letztgenannten Disziplinarmaßnahmen dürfen gemäß § 81 Abs. 5 HDG nur „1. bei besonderer Schwere der Pflichtverletzung oder 2. bei Pflichtverletzungen, die unter besonders erschwerenden Umständen begangen wurden” und gemäß Abs. 6 nur nach Überprüfung der Hafttauglichkeit verhängt werden.



[233] § 2 Abs 4 S 1 HDG.

[234] Soldaten vom Tag (GarnOvT, OvT, UOvT, ChvT), (Kasernen–)Wache; Gleiches gilt für die Militärstreife.

[235] Beachte dazu auch die Bestimmungen im Anhang zur ADV über den Wachdienst. Für Wachen beachte § 22 Abs 12 ADV, für Posten 24 Abs 6 ADV sowie für Streifen und Bedeckungen § 26 Abs 2 ADV.

[236] § 502 Abs 1 StPO.

[237] Offiziere mit einem höheren Dienstgrad als Fhr, Dienststellenleiter im Rang eines Einheitskdt, Soldaten vom Tag, Wachen, Angehörige der Militärstreife sowie andere Soldaten mit Befehlsgewalt über den Festzunehmenden, soferne das Einschreiten eines der genannten Organe nicht rechtzeitig herbeigeführt werden kann.

[238] Beachte dazu § 43 Abs 5 Z 2 u 3 HDG.

[239] § 43 Abs 5 HDG.

[240] § 43 Abs 6 letzter S HDG.

[241] Von „Tatbeständen” kann hier nicht die Rede sein; es handelt sich vielmehr um Generalklauseln, die — wenn auch nicht expressis verbis — vielfach auf die ADV zurückgreifen.

[242] § 2 Abs 5 HDG.

[243] § 4 HDG. Dies gilt natürlich nur für jene Straftaten, die von amtswegen zu verfolgen sind (§ 4 S 1 HDG); bei Privatanklagedelikten (etwa §§ 111 ff StGB) bleibt die Einleitung eines Strafverfahrens dem jeweiligen Betroffenen überlassen.
Beachte dazu auch § 5 HDG: Beim Zusammentreffen gerichtlich oder verwaltungsbehördlich strafbarer Taten mit „Pflichtverletzungen” kann oder muß in einigen Fällen von der disziplinären Verfolgung abgesehen werden (§ 5 Abs 1 HDG); ist die Tat auch nach dem MilStG strafbar, so ist meistens das Disziplinarverfahren sofort einzuleiten (§ 5 Abs 4 u 5 HDG).

[244] § 6 Abs 1 HDG; gem § 6 Abs 1 Z 1 HDG sind auch die Grundsätze des 4. Abschnitts des StGB auf das Disziplinarstrafverfahren anzuwenden. Beachte überdies auch die Sonderstellung der Soldatenvertreter gem § 9 HDG.

[245] § 6 Abs 1 HDG.

[246] § 6 Abs 3 HDG.

[247] § 6 Abs 1 Z 2 HDG; vgl dazu § 19 Abs 2 StGB.

[248] § 10 HDG (Verfassungsbestimmung). Zu den entsprechenden Bestimmungen der StPO (XXX. Hauptstück, §§ 507–513 StPO) vgl Foregger/Kodek StPO6 655–660.

[249] Ausführlicher behandelt werden hier nur jene Strafen, die in Hinblick auf Art 5 EMRK von Relevanz sind.

[250] Vgl §§ 45–49 HDG.
Außerhalb der Bestimmungen des HDG ist es gängige Praxis, nach Abmahnung, etwa beim „befohlenen Rapport” (hier wird vom zuständigen Vorgesetzten das Erscheinen des Untergebenen beim werktäglich abzuhaltenden Rapport angeordnet; diese Vorgangsweise ist in den ADV nicht vorgesehen, vgl § 15 Abs 1 ADV), ohne jegliches weitere Verfahren GWD, die sich kleiner disziplinärer Vergehen schuldig machen, zu besonders unbeliebten Diensten einzuteilen, was mE durchaus den Charakter einer disziplinären Strafmaßnahme entspricht (gemeint sind hier — neben verschiedenen Reinigungsaufträgen oder solchen sportlicher Natur — die sog SamSons, dh die Einteilung zu Chargen–, Bereitschafts– oder Wachdiensten — vgl §§ 20–22 ADV — während des an sich dienstfreien Wochenendes).
Obwohl derartige Maßnahmen durchaus im — zumindest kurzfristigen — Interesse des militärischen Betriebes sind und zuweilen sogar motivierend wirken können (immerhin ersparen sich sowohl der Disziplinarvorgesetzte wie auch va der Beschuldigte auf unbürokratische Art die im HDG geregelten Strafen, insb die des Verweises), werden sie hier nicht weiter behandelt, da sich einerseits diese Art der Freiheitsentziehung im Rahmen des Dienstplanes bewegt und nach der Rechtsprechung des EGMR (Fall Engel ua) nicht unter Art 5 EMRK zu subsumieren ist, andererseits ihre Behandlung auch den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Zum Problem der Kasernierung als Grundrechtseingriff vgl unten G.4.2.

[251] Der Verweis ist im HDG nicht näher geregelt. Er ist die tadelnde, verschärfte Ausformung der in § 2 Abs 5 HDG angesprochenen Ermahnung oder Belehrung.

[252] Die Geldbuße darf höchstens 15% der Bemessungsgrundlage betragen, die sich aus Monatsgeld, Dienstgradzulage und allfälligen Prämien zusammensetzt. Dazu genauer § 46 Abs 2 Z 1–3 sowie Abs 3 HDG.

[253] Vgl § 47 Abs 2 HDG.

[254] Die Unfähigkeit zur Beförderung entzieht einem Whm die Möglichkeit, innerhalb der folgenden drei Jahre einen höheren Dienstgrad zu erlangen. Vgl § 48 Abs 1 HDG.
„Die Degradierung ist die Zurücksetzung auf den Dienstgrad Wehrmann. Sie bewirkt auch die Unfähigkeit, innerhalb von drei Jahren einen höheren Dienstgrad zu erlangen.” Vgl § 48 Abs 2 HDG. GWD werden normalerweise höchstens Gfr, wenn sie sich nicht zu einer längeren Dienstzeit verpflichten.

[255] § 47 Abs 3 HDG.

[256] § 47 Abs 4 HDG.

[257] § 49 HDG.

[258] § 50 HDG.

[259] Vgl hierzu oben C.2.2.1.

[260] Sie beträgt — wie beim GWD — höchstens 15% der Bemessungsgrundlage. Dazu genauer § 51 Abs 2 HDG.

[261] Sie beträgt 15 bis maximal 350% der Bemessungsgrundlage; vgl § 51 Abs 1 HDG.

[262] Vgl dazu § 52 HDG iVm § 50 Z 4a HDG.

[263] Vgl § 53 HDG iVm §§ 48 und 50 Z 4b HDG.

[264] Vgl § 56 HDG.

[265] Zum Begriff „Einsatz” beachte die über § 2 Abs 1 WG hinausgehende, die Vorbereitungen eines solchen mit einbeziehende Regelung des § 80 Abs 2 HDG; vgl § 2 Z 3 ADV.

[266] Verweis (Abs 1 Z 1), Geldbuße bis zu 25% der jeweiligen Bemessungsgrundlage (Abs 1 Z 2 iVm Abs 2 Z 1 lit a), Ausgangsverbot (Abs 1 Z 3 iVm Abs 2 Z 1 lit b), Disziplinarhaft (Abs 1 Z 4 iVm Abs 3 u Abs 5–8) und Disziplinararrest (Abs 1 Z 5 iVm Abs 4 u Abs 5–8) sowie Unfähigkeit zur Beförderung und Degradierung (Abs 1 Z 6 iVm Abs 2 Z 2 lit a–d).

[267] § 81 Abs 3 HDG; Hervorhebung nicht im Original.

[268] § 81 Abs 4 HDG.






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