Kein Märchen!
Wien, 12. Jänner 1998
Wer schreibt, provoziert. Zwangsläufig, ganz von selbst. Immer wird es jemanden geben, dem etwas nicht gefällt, der sich auf den Schlips getreten fühlt. Ergo: Wer nicht provoziert, der schreibt auch nicht.
Wer schreibt, denkt. Nur wer denken kann, der kann auch schreiben. Nur das Denken verhindert, daß jemand schreibt, um zu provozieren. Dieser Versuch, eine Rechtfertigung für geschriebene Worte zu schaffen, ist gekünstelt, illegitim und zum Scheitern verurteilt. Stellt sich die Provokation nicht von alleine ein, sind die Worte das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben stehen. Wer lesen will, muß auch denken wollen. Wer nicht denken will, verwehrt dem Geschriebenen, seine Provokation zu vermitteln. Wer nicht lesen kann, wird nie belesen sein, er ist dazu verdammt, sich von geschriebenen Worten berieseln zu lassen. Ein armer Tropf ist jener, der beim Schreiben oder Lesen nichts empfinden kann, ein Verbrecher aber, wer dabei nichts empfinden will. So nüchtern und unbestechlich ein Satz auch sein oder klingen mag: Wenn er nicht von Herzen kommt, sich nicht auf Emotionen gründet, hat er seine Seele verkauft, ist bösartig, gehässig, aggressiv, des Teufels! Der Rotkappelzwerg ist eines bitteren, schmerzhaften Todes gestorben; jämmerlich krepiert ist er an den Analysen seiner Leser, erbärmlich verhungert bei jenen, die ihm die Emotion, seine einzige Nahrung, verweigert haben. Angst, Verzweiflung und Entsetzen zeichnen sein Antlitz: Er hat seine Seele gerettet, aber um welchen Preis! Möge er wenigstens in Frieden ruhen. |
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Version Nr. 3/2016 vom 2. August 2016
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