A–Punkt auf dem Damenclo?

Respektlosigkeit und ihre Folgen *

Carolinas Nachrichten Nr. 10/1996, S. 18–20


Hohes Präsidium!
Hohe Corona!

Im Jahre 1980 wurde mir duch den Rus­sisch-Un­ter­richt, den ich an mei­ner da­ma­li­gen Schu­le ge­noß, er­mög­licht, die Union der So­zia­li­sti­schen Sow­jet-Re­pu­bli­ken zu be­su­chen. Da­mals, als der Ge­ne­ral­se­kre­tär der KPdSU noch Leo­nid Bresch­njow hieß und man in wei­ten Tei­len der Welt den So­zia­lis­mus für die Ideo­lo­gie der Zu­kunft schlecht­hin hielt, durf­te ich Er­fah­run­gen ma­chen, die mich für mein wei­te­res Le­ben prä­gen soll­ten.

In Kiew, un­se­rem er­sten Halt nach über 38 Stun­den Bahnf­ahrt, wur­den wir in ein sehr nüch­tern an­mu­ten­des Re­stau­rant zum Mittag­es­sen ge­führt. Von einem über­aus mensch­li­chen Be­dürf­nis ge­trie­ben, mach­te ich mich zu­nächst auf die Su­chen nach den ört­li­chen Toi­let­ten, die sich je­doch im wah­ren Sinn des Worvtes als atemvbevrauvbend er­wei­sen soll­ten:

In einem et­wa zwan­zig Me­ter lan­gen und sechs Me­ter brei­ten, weiß ge­ka­chel­ten Raum war an einer Längs­sei­te eine Pin­kel­rin­ne in­stal­liert. An der an­de­ren Längs­sei­te wa­ren zwa­nzig Por­zel­lan­becken an­ein­an­der­ge­reiht in den Bo­den ein­ge­las­sen. Über je­dem Becken hing ein mit einem Kno­ten am En­de, je­des Becken war mit einem Loch in der Mit­te aus­ge­stat­tet; es gab we­der Ka­bi­nen noch Wän­de, die die Becken von­ein­an­der ab­trenn­ten, noch sonst ir­gend­einen Sicht­schutz. Vom zu­stän­di­gen Per­so­nal — zwei al­ten Ba­busch­kas — für zwei Ko­pe­ken spär­lich mit Pa­pier aus­ge­stat­tet, hin­gen nun Männ­lein wie Weib­lein mit her­ab­ge­las­se­nen Ho­sen über den Becken und ver­rich­te­ten ge­räusch­voll ihr Ge­schäft.

Wa­rum nun, ho­hes Prä­si­dium, ho­he Co­ro­na, er­zäh­le ich die­se an sich we­nig er­bau­li­che Ge­schich­te hier und heu­te, aus An­laß eines feierl­i­chen Stif­tungs­fe­stes?

Für so man­chen mag es stark über­trie­ben klin­gen; aber im­mer häu­fi­ger ru­fen die Zu­stän­de, die in un­se­rem schö­nen Land fröh­li­che Ur­ständ' fei­ern, mir die­ses Bild mei­ner er­sten haut­na­hen Be­geg­nung mit dem rea­len So­zia­lis­mus ins Ge­dächt­nis.

Was mich da­mals so er­schreckt hat­te, was mich be­wo­gen hat­te, mir mein Be­dürf­nis zu ver­knei­fen und den nach Des­in­fek­tions­mit­teln stark rie­chen­den Raum un­ver­rich­te­ter Din­ge wie­der zu ver­las­sen, war nicht die Tat­sa­che, daß die Toi­let­ten an­ders als bei uns aus­sa­hen; auf­grund mei­ner schon da­mals gro­ßen Rei­se­er­fah­rung hat­te ich mir das Mot­to „an­de­re Län­der, an­de­re Sit­ten” längst zu eigen ge­macht. Viel­mehr war es die Re­spekt­lo­sig­keit, die Re­spekt­lo­sig­keit vor der In­tim­sphä­re, die Re­spekt­lo­sig­keit vor dem je­weils an­de­ren Ge­schlecht, die Re­spekt­lo­sig­keit vor dem Men­schen und sei­ner Wür­de schlecht­hin: Wer schei­ßen oder pin­keln will, kann das am da­für vor­ge­se­he­nen Plat­ze — wie ir­gend­ein Tier im Zoo — in al­ler Öf­fent­lich­keit er­le­di­gen! Die für mich so selbst­ver­ständ­li­che Men­schen­wür­de als ver­ge­sell­schaf­te­te Über­flüs­sig­keit!

„De­mo­kra­tie ist auch Ge­schlech­ter­de­mo­kra­tie”, schreibt im In­ter­net das „UFF”, das „Un­ab­hän­g­ige Frau­en–Fo­rum”, im Be­mü­hen, für das Frau­en–Volks­be­geh­ren zu wer­ben. Die Be­sei­ti­gung ver­meint­li­cher oder auch ganz rea­ler Dis­kri­mi­nie­rung von Frau­en durch ein Sy­stem, in dem die Weib­lich­keit mit all ih­ren Vor- und Nach­tei­len (be­kannt­lich soll auch die Männ­lich­keit Vor- und Nach­tei­le haben ...) durch ni­vel­lie­ren­de Ab­stim­mun­gen, durch mehr oder min­der zu­fäl­lige Mehr­heits­vo­ten er­setzt wird, er­scheint mir nicht nur äußerst wi­der­na­tür­lich und frag­wür­dig, son­dern auch frau­en­feind­lich und men­schen­un­wür­dig.

„Die Be­rufs­chan­cen von Frau­en wer­den so­lan­ge be­ein­träch­tigt sein, als Frau­en al­lein ver­ant­wort­lich ge­macht wer­den für Kin­der­be­treu­ung, Pfle­ge­ar­beit und Haus­halt”, kann man dort wei­ter­le­sen. Auf eine ähn­li­che Aus­sa­ge soll ein­mal John Wayne ge­ant­wor­tet ha­ben: „Wel­che Frau braucht schon einen Job, wenn sie eine Frau sein kann?” So ein Spruch wird heut­zu­ta­ge aus­schließ­lich als Ma­cho–Ge­tö­se ab­qua­li­fi­ziert, oh­ne wei­ter da­rüber nach­zu­den­ken und da­rin viel­leicht auch einen frau­en­freund­li­chen, re­spekt­vol­len Sinn zu ent­decken; für einen den­ken­den und füh­len­den Men­schen ist die­se Un­re­flek­tiert­heit je­doch nur ein wei­te­res Ar­muts­zeug­nis der Phan­ta­sie­lo­sig­keit in der Ge­stal­tung part­ner­schaft­li­cher Be­zie­hun­gen als Er­geb­nis des jahr­zehn­te­lan­gen so­zia­li­sti­schen Trom­mel­feu­ers der Gleich­ma­che­rei.

„Wir for­dern, daß die part­ner­schaft­li­che Tei­lung von Haus- und Pfle­ge­ar­bei­ten im Fa­mi­lien­recht ver­an­kert wird.” Ich aber fra­ge mich: In wel­cher von christ­li­cher Lie­be ge­präg­ten Ehe, in der die Part­ner ver­spro­chen ha­ben, ein­an­der zu lie­ben und zu ach­ten, Freud und Leid mit­ein­an­der zu tei­len, ist die Ehe­frau — so es nicht in­ner­halb die­ser Ehe eine an­de­re Ab­spra­che gibt — nicht eben­so ger­ne be­reit, die­se häus­li­chen Ar­bei­ten zu über­neh­men, wie ihr Ehe­mann be­reit ist, ­ zu un­ter­neh­men, um die­se Fa­mi­lie et­wa auf eine so­li­de wirt­schaft­li­che Ba­sis zu stel­len?

Aber ge­nau das wird den Män­nern schwer ge­macht: Um­ver­tei­lungs- und Wohl­fahrts-Staats­ideo­lo­gie ver­ur­sa­chen Kor­rup­tion und ho­he Ko­sten, die Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer tra­gen müs­sen; wäh­rend Staats­be­trie­be, Par­tei­en und Zwangs- In­ter­es­sens­ver­tre­tun­gen mit Mil­liar­den jong­lie­ren kön­nen und den­noch im­mer mehr Ka­pi­tal be­nö­ti­gen, bleibt einem Fa­mi­lien­va­ter im­mer we­ni­ger in der Ta­sche, um die Sei­nen zu er­näh­ren.

Um nun die Frau­en, die all­zu oft von bit­te­rer ma­te­riel­ler Not zur Lohn­ar­beit ge­trie­ben wer­den, zu mo­ti­vie­ren, mit ih­ren nicht zu knapp be­mes­se­nen Steu­ern und So­zial­ab­ga­ben den Zu­sam­men­bruch die­ses ma­ro­den Mo­lochs noch ein we­nig hin­aus­zu­zö­gern, wird ih­nen der Sand der Gleich­be­hand­lungs-Kam­pag­nen (eine mo­der­ne Art von „Brot und Spie­len” für das dum­me Volk) in die Augen ge­streut, da­mit sie die Ab­hän­gig­keit nicht er­ken­nen kön­nen, in die sie sich aus der Ge­bor­gen­heit einer an sich funk­tio­nie­ren­den Fa­mi­lien­struk­tur be­ge­ben.

„Wir for­dern, daß Gleich­be­hand­lung und Frau­en­för­de­rungs­maß­nah­men zur Er­zie­lung der tat­säch­li­chen Gleich­be­rech­ti­gung von Frau­en in der Ver­fas­sung ver­an­kert wer­den.” Die Fa­mi­lie, die Keim­zel­le eines funk­tio­nie­ren­den Gesell­schafts­ge­fü­ges, wird re­spekt­los mit Fü­ßen ge­tre­ten und zer­schla­gen, die Men­schen, die ihr an­ge­hö­ren soll­ten, in die Ab­hän­gig­keit des Staa­tes und da­mit un­ter die Kon­trol­le der ihn Re­gie­ren­den ge­stellt — und das al­les im Na­men der Men­schen- und Frei­heits­rech­te!

An­ge­sichts di­eser Tat­sa­chen ist es nicht wei­ter ver­wun­der­lich, daß der Re­spekt der Men­schen vor­ein­an­der, ins­be­son­de­re vor An­ge­höri­gen des je­weils an­de­ren Ge­schlechts, auch hier in Öster­reich, einem Land, von dem eine Frau ge­schrie­ben hat, daß es Hei­mat gro­ßer Söh­ne sei, be­denk­lich schnell ab­nimmt. Der so­ge­nann­te Fort­schritt, von den ro­ten Mach­bar­keits­ideo­lo­gen stän­dig ge­pre­digt, be­schleu­nigt zu­dem die­se Ent­wick­lung. Die Pil­le et­wa, als Mit­tel der „se­xu­el­len Be­frei­ung der Frau” im­mer noch an­ge­prie­sen, hat sich — ge­samt­ge­sell­schaft­lich ge­se­hen — als ein Fluch er­wie­sen, der zur un­kon­trol­lier­ten Un­ter­drückung und De­mü­ti­gung von Aber­tau­sen­den von Frau­en ge­führt hat:

Ein Mann, der in frü­he­ren Zei­ten die Re­geln von An­stand und Re­spekt nicht be­ach­ten woll­te, kam ent­we­der we­gen Ver­ge­wal­ti­gung mit dem Straf­recht in Kon­flikt oder muß­te die an­rü­chi­gen und teu­ren Dien­ste des ho­ri­zon­ta­len Ge­wer­bes in An­spruch neh­men. Der­lei Hemm­schwel­len gibt es heu­te nicht mehr: „Mann” reißt sich zwecks se­xu­el­ler Be­frie­di­gung in der nächst­be­sten Disco die nächst­be­ste, auf se­xu­el­le Be­frei­ung war­ten­de Frau auf und ent­le­digt sich ih­rer an­schlie­ßend eben­so ein­fach, wie man et­wa ein Pa­pier­ta­schen­tuch in den Müll­eimer wirft, oh­ne ir­gend­wel­che ne­ga­ti­ven Fol­gen für sein respektloses Verhalten fürchten zu müs­sen. Ficken statt lie­ben, lau­tet die De­vi­se — welch ein Fort­schritt in der Über­win­dung des Ge­schlech­ter­kamp­fes!

Un­ser Comm­ent trifft — nicht nur im Um­gang mit dem zar­ten Ge­schlecht — ein­deu­ti­ge Aus­sa­gen zu die­sem The­ma: Re­spekt­voll hat der Fuchs dem Bur­schen „aufs Spe­ziell­ste” die Blu­me zu brin­gen, re­spekt­voll hat der Bursch den ver­dien­ten und wür­di­gen Al­ten Herrn zu be­han­deln, rit­ter­lich be­schirmt und be­schützt der ka­tho­li­sche Cou­leur­stu­dent sei­ne weib­li­che Be­glei­tung.

Selbst­ver­ständ­lich gilt — qua­si als Aus­gleich — auch Um­ge­kehr­tes: Das freund­schaft­li­che Du ver­bin­det al­te und jun­ge Bun­des­brü­der, ger­ne über­nimmt der Bursch die Ver­ant­wor­tung für den Fuch­sen und hilft ihm nach Kräf­ten, und auch des Stu­den­ten Her­zens­da­me wird die Bun­des­brü­der als Freun­de re­spek­tie­ren.

Aber selbst im Be­reich des ka­tho­li­schen Cou­leur­stu­den­ten­tums scheint die all­ge­mei­ne Re­spekt­lo­sig­keit um sich zu grei­fen. So gibt es in der Bun­des­haupt­stadt eine Cor­po­ra­tion, bei de­ren Mit­glie­dern Be­grif­fe wie „Cou­leur”, „Com­ment”, aber auch „Knei­pe” und „Com­mers” oder gar „Band” und „Mütze” geradezu Erstaunen und bisweilen sogar Abscheu her­vor­ru­fen kön­nen. Kein Wun­der, daß man ge­ra­de dort be­schlos­sen hat, das al­te, „über­kom­me­ne” Re­gel­werk über Bord zu wer­fen, um „neue We­ge” ge­hen zu kön­nen, um überaus respekt- und würdelos dem eige­nen Ver­band und sei­nen be­freun­de­ten Ver­bän­den so­wie all den da­zu­ge­hö­ren­den Cor­po­ra­tio­nen ent­ge­gen al­ler Tra­di­tion weib­li­che Mit­glie­der zu ok­troyie­ren.

Kein Wun­der, daß man dort zwar vom Prin­zip „Lebens­freund­schaft” re­det, sie aber, weil man sie nicht als In­tim­sphä­re, als Pri­va­tis­si­mum emp­fin­det, das — wie bei einer Fa­mi­lie — vor schäd­li­chen Ein­flüs­sen al­ler Art nach Kräf­ten zu schüt­zen ist, zur schnö­den Packe­lei ver­küm­mern läßt, die min­de­stens eben­so ob­szön ist wie die Zu­stän­de auf den Toi­let­ten, die ich da­mals in Kiew er­lebt ha­be.

Kein Wun­der, daß ge­ra­de dort ein Grüpp­chen Fru­strier­ter, die es nicht ge­schafft hat­ten, sich das san­di­ge Blend­werk so­zia­li­sti­scher Eman­zi­pa­tions­ideo­lo­gie aus den Augen zu wi­schen, in der La­ge war, oh­ne je­de Rück­sicht auf Ver­lu­ste Spalt­pil­ze aus­zu­set­zen und be­stän­dig zu näh­ren.

Wie­viel bes­ser wä­re es doch ge­we­sen, hät­te man den be­ste­hen­den Com­ment wei­ter­ent­wickelt und auf die­ser Ba­sis neue We­ge be­schrit­ten! Statt der Spalt­pil­ze wä­ren neue, jun­ge Bäu­me ent­stan­den (viel­leicht so­gar le­bens­fä­hi­ge, ge­misch­te Ver­bin­dun­gen?), die nach der er­for­der­li­chen Start­hilfe selb­stän­dig ge­wor­den wä­ren und so un­se­ren Re­spekt ver­dient hät­ten.

Einer ver­ehr­li­chen No­ri­ca sei ein Aus­spruch von Frie­dens­reich Hun­dert­was­ser ins Stamm­buch ge­schrie­ben: „Wer sei­ne Wur­zeln nicht nährt, be­raubt sich sei­ner Zu­kunft.”

Wir Lands­mann­schaf­ter ver­wei­gern die­sen Weg der Re­spekt­lo­sig­keit; wir wer­den ihn be­kämp­fen und so un­se­re Wur­zeln, un­se­re Trad­i­tio­nen pfle­gen, da­mit wir auch in Zu­kunft — ge­stützt auf un­se­re Prin­zi­pien — welt­of­fen und zu­ver­sicht­lich neuen Her­aus­for­de­run­gen ge­recht wer­den kön­nen. Wir wer­den nicht der Gleich­be­rech­ti­gung oder gar der Gleich­be­hand­lung das Wort re­den, son­dern uns be­mü­hen, der Gleich­wer­tig­keit von Mann und Frau zum Durch­bruch zu ver­hel­fen.

Und der A–Punkt?

Der A–Punkt wird nicht auf die Da­men­toi­let­te ge­hen, weil er auch nicht zu­las­sen wird, daß ein paar fehl­ge­lei­te­te Eman­zen sich „zu­fäl­lig” in sein Häus­chen ver­ir­ren.

Und noch et­was wird der A–Punkt im Ge­gen­satz zu eini­gen an­de­ren nicht tun: Er wird nicht über die No­ri­ca und ih­ren Ab­le­ger schimp­fen und im glei­chen Atem­zug ein paar der­be Zo­ten über Frau­en rei­ßen.

Kiew sei Dank!



* Fest­re­de an­läß­lich des 62. Stif­tungs­fe­stes e.v. K.Ö.L. Austria–Salz­burg.


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