Wahrlich unbeliebt war der letzten Wahlgang, den Herr und Frau Österreicher am 17. Dezember 1995 hinter sich gebracht haben. Die überwältigende Mehrheit, so hat man vom ORF erfahren, hätte lieber den Zeitaufwand von etwa einer halben Stunde und den äquivalenten Kalorienaufwand von ein paar Schluck Bier anderweitig investiert als in die Zukunft unseres Landes, in die längst fällige und von der EU durch die in Aussicht gestellte Währungsunion inzwischen erzwungene Entscheidung über Österreichs wirtschaftlich–politisch–sozial–kulturelles Glück oder Ende.
Wer jedoch die Rotfunk-Propaganda und das restliche Mediengezeter ignorierte, dem bot sich die unerwartete Chance, ein kleines Flämmchen, das Licht eines Wunders, in weiter Ferne zu erblicken. Zum ersten Mal seit neun Jahren hat sich ein führendes Mitglied der Österreichischen Volkspartei dazu bekannt, Verantwortung — im eigentlichen Sinn des Wortes — für dieses Land zu übernehmen, zum ersten Mal seit neun Jahren wurden den Sozialisten von Konservativen und nicht von einem Freiheitlichen zum Wohle des Landes der Scherben aufgesetzt.
„So, so,” wird der geneigte Leser jetzt denken, „und was habe ich davon? Das Hervorstechendste am Schüssel ist das Mascherl, und überhaupt, der Mann hat nicht einmal ein konservatives Auftreten, von konservativer Weltanschauung ganz zu schweigen!”
Bravo, oh du mein geneigter Leser, recht hast du! Und je weniger die ÖVP dich vertreten hat, desto mehr hast du dich auf deine Weltanschauung zurückgezogen — und leider mittlerweile den Boden der Realität verlassen.
- Wahr ist nämlich vielmehr, daß eine ewig lange Zeit sozialistischer Regierung die Strukturen in Recht und Wirtschaft geprägt haben.
- Wahr ist nämlich vielmehr, daß die ÖVP — von den wirklich Konservativen im eigentlichen Sinne des Wortes (das sind nach Franz Josef Strauß bekanntlich jene, die an der Spitze des Fortschritts marschieren) will ich gar nicht reden — aufgrund ihrer Manie, sich der „Meinung des Volkes” anzupassen, ohne dabei zu erkennen, von welcher Seite diese Meinung gesteuert wird (liebe Grüße vom Rotfunk!), nicht nur beim gemeinen, wenn auch gelegentlich wohlgesonnenen Volke, sondern vor allem bei jenen, von deren (geistiger) Unterstützung sie lebte — wie zum Beispiel die Junge Europäische Studenteninitiative — ihre Glaubwürdigkeit in bezug auf Grundsatztreue völlig eingebüßt hat.
- Wahr ist nämlich vielmehr, daß sozialistische Medien-, „Bildungs-” und Hochschul„politik” — trotz der mannigfaltigen Warnungen konservativer Denker und Gruppierungen, die immer wieder an die ÖVP herangetragen worden sind — dank des reaktionären Proporzdenkens der beiden Großparteien jahrzehntelang fröhliche Urständ' feiern konnten und so das Werte- und Rechtsbewußtsein der österreichischen Staatsbürger (und das sind ausschließlich jene Personen, die sich bewußt als solche empfinden und daher willens sind, neben den ihnen zustehenden Rechten auch die entsprechenden Pflichten bereitwillig zu übernehmen!) langsam, aber stetig unterminiert haben.
- Wahr ist nämlich vielmehr, daß die allgemeine Unzufriedenheit, die den Österreicher zur Zeit bewegt, bewußt von den Sozialisten kanalisiert wird, denn es wäre absolut naiv zu glauben, daß die großen Wahlerfolge, die Jörg Haider mit seinen „Freiheitlichen” regelmäßig feiert (vergeßt bitte die paar Stimmen, die er bei der letzten Wahl verloren hat; sie sind nicht essentiell!), den Roten nicht nutzen würden: Das Schuldgefühl, das sei verbreiten, indem sie glauben machen, Österreich würde international isoliert sein, würde Haider Bundeskanzler, die Rechtfertigung verbaler Gewalt nach dem Motto „der Zweck heiligt die Mittel” gegen eine mit fast einem Drittel aller abgegebenen Stimmen auf demokratische Weise gewählte Partei, die Möglichkeit, die sich durch diese „Rechtfertigung” ergibt, etwa ein Viertel der österreichischen nicht-sozialistischen Wähler quasi aus dem demokratischen Leben dieses Landes auszuschließen, ist zur Zeit die einzige politische Überlebenschance unserer Sozialisten; ohne das „Feindbild Haider” könnten die schon lange nicht mehr von den Problemen ablenken, die sie geschaffen haben!
- Wahr ist nämlich vielmehr, daß uns via ORF dauernd eingeredet worden ist, Österreich gehöre zu den reichsten Ländern der Welt. Das mag wohl wahr gewesen sein. Wegen der roten Mißwirtschaft haben wir derzeit nicht nur mit einer Budget–Krise zu kämpfen, sondern auch mit einem beängstigend steigenden wirtschaftlichen Niedergang in unserem Lande. Es kommt nicht von ungefähr, daß ein Wiener Verlag im vergangenen Jahr mit den Worten „Die Bedeutung des Insolvenzrechts nimmt zu ...” ein einschlägiges Werk zur Konkurs-, Ausgleichs- und Anfechtungsordnung beworben hat und daß dies durch die in diversen unabhängigen Zeitungen veröffentlichten Insolvenzstatistiken auf besorgniserregende Weise bestätigt wird. Trotz verschiedener Jubelmeldungen, die von der Regierung verbreitet werden, trotz einiger Einzelerfolge, die tatsächlich erzielt worden sind, machen sich Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit breit angesichts leerstehender Hotels in vielen Fremdenverkehrsorten, angesichts der vielen Geschäfte, in die vor Weihnachten und Neujahr 1995 kaum jemand einkaufen gegangen ist. Weit verbreitet ist der Wunsch nach einer starken, handlungsfähigen Regierung — das erfährt der interessierte Bürger sogar vom Rotfunk (so etwa im „Mittagsjournal” vom 29.12.1995) —, weit verbreitet ist bisher der Eindruck gewesen, „es geschehe nichts”, und der Ruf nach jemandem, der macht, „daß etwas geschehe”, ist immer lauter geworden.
Fast ein Jahrzehnt lang konnte der Jörg unbestritten von sich behaupten, daß „etwas geschähe”, wenn er ans Ruder käme — für konservative Menschen, die zusehen mußten, wie dieser Jörg die ganze lange Zeit immer wieder dasselbe üble Spiel ungehindert genießen durfte, ein schrecklicher Zustand, nützte er doch nicht nur dem Jörg, sondern auch den Genossen von der SPÖ, die immer wieder von selbstgemachten Problemen auf ein willkommenes Feindbild ablenken konnten!
Ein paar Arbeitslose bei der VOEST bereiten ihm mehr Kopfzerbrechen als ein um ein paar Milliarden Schilling höheres Budget-Defizit, hat ein mittlerweile toter Roter einst gesagt und mit diesem Spruch den Rest des damaligen politischen Spektrums in unserem schönen Lande das Fürchten gelehrt.
Und jetzt endlich — ganz plötzlich, wie aus heiterem Himmel — scheint einer seine Lektion gelernt zu haben, bindet sich fest entschlossen ein Mascherl um und holt sich moralische Unterstützung von einem dicken Gesinnungsfreund, dem in seinem Lande seinerzeit gelungen ist, die Wende herbeizuführen.
Aber mit einem solchen symbolischen Schulterschluß ist es natürlich nicht getan; ein Konzept muß her!
Das zu finden, war leicht: Man braucht nur die damaligen Worte des großen toten Roten umzudrehen, und schon hat man des Problems Lösung! Viel schwieriger hingegen gestaltete sich bislang der Versuch, sowohl Herrn und Frau Österreicher als auch den Koalitionspartner von der Richtigkeit und Unumgänglichkeit des eigenen Programmes zu überzeugen; der Einfachheit bediente man sich der Bierdeckel–Briefform:
Leider hat der Bundes–Vranz das alles nicht begriffen; außerdem stehen dabei viel zu viele Privilegien, die seine Genossen — vor allem jene von der Gewerkschaft — partout nicht hergeben wollen, auf dem Spiel. Seine Parteifreunde und er wollten jedenfalls nicht akzeptieren, daß es besser ist, jetzt den Gürtel enger zu schnallen, ausnahmsweise einmal auf den Schüssel mit dem Mascherl zu hören und zu sparen, anstatt später — etwa anläßlich der Einführung der Europäischen Währungsunion — gar keinen Gürtel mehr zu haben.
Nein, so geht das nicht, meinte drauf der Schüssel mit dem Mascherl, der Staat sei schließlich kein Bankomat, und selbst da müsse man zuerst auf das Konto einzahlen, bevor man so eine Karte bekommt und dann mit ihrer Hilfe von diesem Konto Geld beheben kann!
Und obwohl er nur Spott und Hohn erntete, blieb der Schüssel mit dem Mascherl — allseits völlig unerwarteterweise — Gott sei Dank hart!
Zum ersten Mal seit langer, langer Zeit stellte sich ein ÖVP–Politiker dem Hochmut, der Selbstgefälligkeit der Roten in den Weg — und das noch dazu mit einem durchdachten Konzept! Zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren ist es endlich einem Politiker — und noch dazu einem von der Österreichischen Volkspartei! — nicht nur gelungen, gegen den Jörg anzutreten und zu bestehen, sondern sogar einen großen Sieg nach Punkten zu erringen! Zum ersten Mal nach langer Frustrationsperiode machte sich der Eindruck breit: „Das ist der Anfang vom richtigen Weg! Es geht wieder aufwärts! Wir haben wieder eine Chance!” Und noch viel wichtiger: „Unser Land hat wieder eine Chance!”
Mag es dem Schüssel mit dem Mascherl auch an jenem gelungenen niveauvollen Auftreten mangeln, das Politiker in vielen anderen Ländern an den Tag zu legen pflegen (wie etwa der eingangs erwähnte dicke Gesinnungsfreund), so scheint es doch, daß in der ÖVP ein frischer Wind weht, der — im Gegensatz zu den Furzen, die dort sonst zu riechen waren — inzwischen weiß, woher er wohin zu blasen hat: von konservativen Grundwerten ausgehend nach Europa!
Und so kam es, daß auch die G'schichterln vom „guat'n, oid'n Vranz” den fulminanten Wahlsieg der ÖVP (jawohl: fulminant! Seit langer Zeit wurden wieder Stimmen hinzugewonnen, alle anderen Parteien mit Ausnahme der Sozialisten haben an Gewicht verloren, durch die Ausgrenzung der Freiheitlichen und die Verschiebungen von „Grün” nach „Rot” wurde für die SPÖ jede Taktiermöglichkeit in bezug auf einen möglichen Koalitionswechsel genommen) und damit eine weitgehende Entmachtung der Linken trotz ihrer Stimmengewinne nicht verhindern konnten.
„Austria goes Europe.” Wenn aber der Schüssel mit dem Mascherl und seine Leute dem politischen Gegner gegenüber (der sich als Koalitionspartner erst als glaubwürdig erweisen muß!) nicht hart bleiben, Glaubwürdigkeit beweisen und so die Gelegenheit nutzen, um etwas für das Land zu tun, geht Österreich bald nirgendwo mehr hin!
Zwischen Wissen und Können liegt manchmal ein langer Weg. Wer sich aber nicht auf den Weg macht, wird nie ans Ziel gelangen. So viel man beim derzeitigen ÖVP-Chef auch kritisieren kann und soll: Bekommt er keinen Sprung, sondern bleibt selbstbewußt auf diesem Kurs, dann scheint wenigstens ein erster Schritt in die richtige Richtung getan, dann hat er unsere Unterstützung verdient.