Europa, der Jörgl und wir

Was die Gedanken des kleinen Maxl von den unseren unterscheidet

Carolinas Nachrichten Nr. 2/1994, S. 3–5


So oft hat er uns ge­warnt, der Jörgl. Ver­kauft wer­den wir in Brüs­sel und Maas­tricht, die EU–Bü­ro­kra­tie wird uns über den Tisch zie­hen, weil un­se­re Volks­ver­tre­ter zu schwach und unfä­hig sind, und Öster­reich, das zwar kei­ne Na­tion ist, aber trotz­dem ein schö­nes Land, wird bald an­de­ren, nur nicht den Öster­rei­chern ge­hö­ren. Und ob­wohl wir gar nichts ge­gen Aus­län­der ha­ben, brau­chen die uns nicht un­ser Land und un­se­re Ar­beits­plät­ze weg­neh­men.

Bravo! Recht hat der Jörgl: Die trau­ri­ge ro­te Miß­wirt­schaft hat zu einem mit Steu­er­mit­teln kräf­ti­gst sub­ven­tio­nier­ten Aus­ver­kauf der öster­rei­chi­schen Wirt­schaft an mög­lichst vie­le aus­län­di­sche „In­ve­sto­ren” (de­nen es in re­gel­mä­ßi­ger Fol­ge im­mer wie­der im We­ge simp­ler Er­pres­sung ge­lang, diese Sub­ven­tio­nen unter dem Hin­weis auf „even­tu­ell” nö­ti­gen Per­so­nal­ab­bau oder dro­hen­de Be­triebs­schlie­ßun­gen zu ver­län­gern) ge­führt, der zwar sta­ti­sti­sche Kos­me­tik, me­dia­le Schön­fär­be­rei und kurz­fri­sti­ge Bud­get­sa­nie­rungs­er­fol­ge, nicht aber die Be­sei­ti­gung des Grund­übels ge­bracht hat; statt die we­ni­gen her­ein­kom­men­den Mit­tel ih­rer­seits für In­ve­sti­tio­nen in die Zu­kunft des Lan­des zu ver­wen­den, wur­de kläg­lich ver­sucht, die Fi­nanz­wun­den, die der reale öster­rei­chi­sche So­zia­lis­mus un­se­rem Land zu ge­fügt hat, zu ka­schie­ren — und dies noch da­zu mit Wis­sen und Bei­hil­fe der ÖVP!

Da kann ja gar kein Selbst­be­wußt­sein, kein Pa­trio­tis­mus auf­kom­men, wenn selbst der klein­ste Öster­rei­cher spürt, wie un­ser viel­be­ju­bel­tes und hoch­ge­prie­se­nes hei­li­ges So­zial­sy­stem zer­brö­selt, wie die Ar­beits­lo­sen­ra­te steigt und die Spar­buch­zin­sen für un­se­re sauer ver­dien­ten Schwarz­gel­der sin­ken; Geld ha­ben wir auch kei­nes mehr, und die Li­ste un­se­rer Kre­di­te ist so lang, daß wir be­reits einen Kre­dit brau­chen, um sie auf Pa­pier aus­drucken zu kön­nen (las­sen wir es doch lie­ber!), und er gro­ße Bru­no, der uns im­mer so schön ge­sagt hat, was wir tun sol­len, liegt un­ter der Er­de, und der Vranz, der ist zwar schön und brav, aber farb­los. Kurz und gut, es bleibt uns nur eine Chan­ce: Leu­te, helft's zum Jörgl!

Schön ha­ben wir Öster­rei­cher es de­nen vom Li­be­ra­len Fo­rum, die den Jörgl ver­las­sen und ver­rra­ten ha­ben, bei den letz­ten Wah­len ge­zeigt, zu die­sem hoh­len, zweck­op­ti­mi­sti­schen und kon­zept­lo­sen An­schluß­eu­pho­ris­mus an die EU bleibt nur eines zu sa­gen: Nein dan­ke!

Und die ÖVP? Da gibt's ja nur den Loisl. Wei­nen möch­te man fast, wenn man sieht, wie er ge­gen die Dumm­heit kämpft, wie er sich um un­ser Land be­müht, wie es ihn ge­sund­heit­lich zau­bert — und wie al­lein ist er in der ÖVP! Er­hards bun­tes Vo­gel­ge­zwit­scher ist eben­so leer und lang­wei­lig wie das sei­nes Ge­ne­ral­se­kre­tärs (zu Zei­ten eines Mi­chi Graff hat man we­nig­stens noch ge­wußt, wie der heißt!), und über­haupt er­hebt sich die Fra­ge, wo­rin sich die­se Par­tei äußer­lich wie in­halt­lich noch von der SPÖ un­ter­schei­det.

Und diese La­men­tie­re­rei von den Grü­nen ist ein­fach er­bärm­lich. Der Ver­kehr wird so oder so durch Öster­reich rol­len, zu sehr sind wir durch die in­ter­na­tio­na­le Ab­hän­gig­keit, in die uns die Ro­ten ge­führt ha­ben, er­preß­bar ge­wor­den, und die all­ge­mei­ne Ohn­macht dieses Lan­des und sei­ner Ver­tre­ter nach außen in öko­lo­gi­schen An­ge­le­gen­hei­ten hat sich erst un­längst wie­der am Bei­spiel des Atom­kraft­wer­kes in Te­me­lín deut­lich ge­zeigt.

Nur einer ist da ganz an­ders, nur einer mel­det sich laut zu Wort und sagt uns ganz deut­lich (noch viel deut­li­cher als der gu­te al­te Bru­no — Marx hab' ihn se­lig!), wo's lang­geht: Eu­ro­pa? Ja, aber!

Da­rum, Leu­te, hört's auf den Jörgl!

Hat er nicht recht, der Jörgl? Vor Jahr­zehn­ten ha­ben es schon die Bay­ern gewußt: „Wir sind für ein Ver­ein­tes Eu­ro­pa — aber Bay­ern den Bay­ern!”

Selbst kri­ti­sche aus­län­di­sche Re­por­ter wie je­ne des Deut­schen Fern­se­hens muß­ten nach gründ­li­cher Re­cher­che zu­ge­ben, daß der blaue Kärnt­ner mit (fast!) all sei­nen Tat­sa­chen­fest­stel­lun­gen recht be­hal­ten hat. Außer­dem wä­re sein Bü­chel, das von vie­len gar graus­lich–skan­da­lö­sen Zu­stän­den in un­se­rem schö­nen Land spricht, längst be­schlag­nahmt, ver­bo­ten und zu­min­dest me­dial ver­nich­tet wor­den, wenn auch nur eine Sil­be, die dort zu le­sen ist, nicht der Wahr­heit ent­sprä­che.

Ja, ja: stark ist er, gescheit ist er, der Jörgl, kompetent und populär. Er wird uns herausführen aus Arbeitslosigkeit, Wirtschaftsmisere, Korruption und Abhängigkeit. Dann sind wir wieder jemand in Europa (auch ohne Kaiser), respektieren wird man uns müssen. Und vielleicht kommt dann eines Tages wieder Deutschland zu Östereich?

Nur ein Weg kann Öster­reich stär­ken: Leu­te, un­ter­stützt's den Jörgl!

Wie aber heißt es in un­se­rem Grund­satz­pro­gramm? „Die Cor­po­ra­tio­nen des ‚Aka­de­mi­schen Bun­des ka­tho­lisch–öster­rei­chi­scher Lands­mann­schaf­ten‘ sind far­ben­tra­gen­de, ka­tho­li­sche Stu­den­ten­ver­bin­dun­gen, de­ren Mit­glied­schaft von je­dem er­wor­ben wer­den kann, der die sta­tu­ten­mä­ßi­gen Be­din­gun­gen er­füllt und be­reit ist, für Öster­reich ein­zu­tre­ten und un­se­re Be­stre­bun­gen für eine In­te­gra­tion Eu­ro­pas zu un­ter­stüt­zen. ... Wir be­ken­nen uns zu einem un­ab­hän­gi­gen öster­rei­chi­schen Staat und zur völ­ker­ver­bin­den­den Kraft der öster­rei­chi­schen Idee. ... Wir glau­ben an Öster­reichs Zu­kunft in einem in­te­grier­ten Eu­ro­pa.”

Leute, vergeßt's das mit dem Jörgl wie­der. Jahr­zehn­te­lang ha­ben wir Lands­mann­schaf­ter da­von ge­träumt, da­rauf ge­war­tet, für ein freies, ge­ein­tes und in sei­ner Viel­falt star­kes Eu­ro­pa ein­tre­ten, ja ge­ra­de­zu ge­gen den an­ti­eu­ro­päi­schen welt­an­schau­li­chen Geg­ner kämp­fen zu kön­nen. Wenn wir uns dem jetzt nicht stel­len, wer­den wir aus Be­quem­lich­keit und Feig­heit das En­ga­ge­ment nicht nur un­se­rer Ge­ne­ra­tion, son­dern vor al­lem auch der­je­ni­gen, die für ih­ren Ein­satz mit dem Le­ben be­zah­len muß­ten, zu­nich­te ma­chen und un­ser Grund­satz­pro­gramm zu einem blo­ßen Lip­pen­be­kennt­nis de­gra­die­ren. Die EU ist von die­sem Eu­ro­pa, wie wir es uns wün­schen, noch weit ent­fernt; wäh­rend Kon­rad Ade­nau­er und Franz Jo­sef Strauß von einem Eu­ro­pa der christ­li­chen Wer­te ge­träumt ha­ben, ist je­nes eines Herrn De­lors oder eines Vranz ge­prägt durch die Op­tion einer frag­wür­di­gen kol­le­kti­ven Si­cher­heit, durch eine von Brüs­sel im­mer stär­ker be­ein­fluß­ten rie­si­gen Ad­mi­ni­stra­tion so­wie eines in­ter­na­tio­na­li­sti­schen (zu sehr er­in­nert mich das an den So­zia­lis­mus) Ein­heits­breies, den wirt­schaft­liche Not­wen­dig­kei­ten zu­sam­men­rüh­ren.

Nur der Ein­tritt Öster­reichs in die EU je­doch gibt dem christ­li­chen La­ger die Mög­lich­keit, end­lich den Kampf auf­zu­neh­men ge­gen Na­tio­na­li­sten und In­ter­na­tio­na­li­sten zu­gun­sten des plu­ri­na­tio­na­len Ge­dan­kens; den Kampf auf­zu­neh­men ge­gen die Aus­beu­tung des Li­be­ra­lis­mus und Ka­pi­ta­lis­mus, ge­gen die Un­ter­drückung und Men­schen­ver­ach­tung so­zia­li­sti­scher Pro­ve­ni­enz zu­gun­sten christ­li­cher Wer­te (nicht Wort­hül­sen, Struk­tu­ren und Ober­fläch­lich­kei­ten!). Der Zug nach Eu­ro­pa fährt für uns Lands­mann­schaf­ter seit über sieb­zig (70!) Jah­ren — auch da­rin un­ter­schei­den wir uns nicht nur vom Jörgl, son­dern auch von den an­de­ren Ver­bän­den wie MKV und ÖCV, die sich erst in jün­ge­rer Zeit mit die­sem The­ma in­ten­si­ver be­schäf­tigt haben —, und auch wenn wir nicht sehr oft in der Nä­he des Füh­rer­stan­des ge­stan­den ha­ben, so konn­ten wir uns doch auf den Lo­ko­mo­tiv­füh­rer im­mer wie­der ver­las­sen, so sind wir doch im­mer zu­min­dest im Trieb­wa­gen die­ses Zu­ges ge­we­sen.

Jetzt, wo dieser Zug end­lich in Schwung kommt, wächst un­se­re Ver­ant­wor­tung. Die ent­schei­den­den Wei­chen kom­men im­mer schnel­ler in un­ser Ge­sichts­feld, und wir sind auf­ge­for­dert, un­se­re bis­her meist aka­de­mi­sch ge­hal­te­ne Un­ter­stüt­zung des Lok­füh­rers in eine fun­dier­te, ak­ti­ve zu ver­wan­deln und so un­se­ren Bei­trag zu lei­sten, da­mit der Zug nicht ent­gleist, son­dern un­se­rem Ziel ent­ge­gen­fährt.

Leu­te, fallt's nicht her­ein auf den Jörgl; die Er­fol­ge, die er für unser Land for­dert und uns ver­spricht, kön­nen nur kurz­fri­sti­ge sein, denn sie ent­spre­chen nicht dem eu­ro­päi­schen Gedan­ken und sei­nen Wer­ten. Laßt Euch nicht über­re­den, son­dern denkt selbst nach. Der Weg, der zum eu­ro­päi­schen Olymp führt, ist stei­nig und steil, die Her­aus­for­de­rung rie­sig, die Ver­ant­wor­tung er­drückend, und viel­leicht wer­den wir an die­sem Weg schei­tern. Wer aber den Mut zur Über­win­dung von Hin­der­nis­sen nicht auf­bringt, die He­raus­for­de­rung nicht an­neh­men und die Ver­ant­wor­tung nicht über­neh­men will — egal aus wel­chen Grün­den —, hat von vorn­her­ein kei­ne Chan­ce, für sich oder für an­de­re et­was zu ge­win­nen.

Leu­te, laßt uns die Wahr­hei­ten se­hen, hö­ren wir uns da­zu ru­hig auch den Jörgl an, aber ent­schei­den wir uns für das, wo­für wir seit Lands­mann­schaf­ter­ge­den­ken ein­ge­tre­ten sind:

Leu­te, wählt's Eu­ro­pa!


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