1938–1988

Gedanken zur „Waldheim–Affaire”

Carolinas Nachrichten Nr. 2/1988 S. 22 f


Verallgemeinerungen

Ich er­in­ne­re mich noch ge­nau an je­nen „Club 2” wäh­rend des Präsi­dent­schafts­wahl­kamp­fes, in dem ein ge­wis­ser Pro­fes­sor E. Rin­gel sinn­ge­mäß von sich gab, daß wei­te Krei­se der ÖVP an­ti­se­mi­tisch ein­ge­stellt sei­en, weil die ÖVP auf ih­ren Wahl­kampf­pla­ka­ten für Dr. Wald­heim die Far­be gelb vor­herr­schen ließ — eben je­ne Far­be, die vor ge­rau­mer Zeit auch für das Sym­bol des Ju­den­sterns ver­wen­det wur­de.

Die­se „Fest­stel­lung” läßt sich na­tür­lich aus­wei­ten: Je­mand, der um den Sym­bol­ge­halt die­ser Far­be weiß („schon ein­mal et­was da­von ge­hört hat”), ist ein An­ti­se­mit, wenn er Reclam–Hef­te liest (de­ren Um­schlag be­kannt­lich gelb ist), ger­ne Zi­tro­nen­li­mo­na­de trinkt u.v.a.m.

Und wer von all dem nichts ge­wußt hat, der mö­ge dies bit­te schnell­stens vor al­ler Welt­öf­fent­lich­keit be­wei­sen.

(Ob sich der Herr Pro­fes­sor über die Ak­tua­li­tät die­ses „Sym­bol­ge­hal­tes” be­sag­ter Far­be schon ein­mal Ge­dan­ken ge­macht hat?)


Geld


Jetzt ist es end­gül­tig be­schlos­sen: Je­des Mit­glied einer Fa­mi­lie, die von den Na­tio­nal­so­zia­li­sten ver­folgt wur­de, er­hält nun (als Wie­der­gut­ma­chung?) einen Be­trag zwi­schen öS 2.500,– und 5.000,– aus Steu­er­gel­dern.

Ich gön­ne den Leu­ten das Geld.

Aber ich möch­te nicht in der Haut die­ser Leu­te stecken.

Der ge­neig­te Le­ser stel­le sich vor, ich wür­de ihn jetzt er­schie­ßen. Nach fünf­zig Jah­ren zah­len dann die Leu­te aus dem Haus, in dem ich woh­ne, an sei­ne Kin­der öS 5.000,–. Toll, nicht?

Viel­leicht hät­te man sich eher je­ne un­ter den Be­trof­fe­nen her­aus­su­chen sol­len, die auf­grund der un­fä­hi­gen Re­gie­run­gen der letz­ten zwan­zig Jah­re der­zeit kei­nen Ar­beits­platz ha­ben — um ih­nen mit die­sem Geld ak­zep­tab­le Ar­beits­plät­ze zu schaf­fen?

In je­dem Fall wä­re die­se Lö­sung we­ni­ger pein­lich ge­we­sen!


Vergangenheitsbewältigung


Je­ne, die „die Ver­gan­gen­heit be­wäl­ti­gen” wol­len, sind meist zu fei­ge, in die Zu­kunft zu se­hen.

Je­ne aber, die da­rauf drän­gen, daß an­de­re „die Ver­gan­gen­heit be­wäl­ti­gen”, ha­ben oft in ih­rer eige­nen Ver­gan­gen­heit sehr dunk­le Ka­pi­tel auf­zu­wei­sen. An­hand die­ser dunk­len Ka­pi­tel könn­ten sel­bi­ge Leu­te gleich de­mon­strie­ren, was das ist: „Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung”!

Ich ha­be noch kei­nen ge­se­hen, der das ge­schafft hät­te!


Nazi


Der häu­fi­ge Ge­brauch von Ab­kür­zun­gen in der All­tags­spra­che wird be­son­ders ger­ne von Dik­ta­tu­ren al­ler Art ge­för­dert. Man den­ke nur an das Drit­te Reich oder auch an die DDR.

Einer Ge­ne­ra­tion wer­den die­se Kurz­wor­te (KW's) ein­ge­impft, die näch­ste Ge­ne­ra­tion (spä­te­stens) ver­wen­det sie be­reits ge­dan­ken- und kri­tik­los (d.h. oh­ne über de­ren vol­le Be­deu­tung nach­zu­den­ken bzw. in­for­miert zu sein).

In Öster­reich herrscht der­zeit kei­ne Dik­ta­tur (hof­fent­lich!); da­her ist die Ver­wen­dung die­ser Ab­kür­zun­gen nicht not­wen­dig. So teu­er kann die Sen­de­zeit des Öster­rei­chi­schen Rund­funks gar nicht sein, daß es un­mög­lich wä­re, an­stel­le von „NS–Re­gi­me” be­zie­hungs­wei­se „Nazi–Regime” zum Bei­spiel „Re­gi­me der Na­tio­nal­so­zia­li­sten” oder an­stel­le von „Na­zi–Par­tei” oder „NSDAP” „Na­tio­nal­so­zia­li­sti­sche Deut­sche Ar­bei­ter­par­tei” zu sa­gen.


Hitler und Marx


Hier aber weh­ren sich die in­ter­na­tio­na­len So­zia­li­sten — und ge­nie­ren sich zu Recht! Schließ­lich war einer der ve­he­men­te­sten An­ti­se­mi­ten der gro­ße Karl Marx selbst!

Ab­ge­se­hen da­von ist der So­zia­lis­mus na­tur­ge­mäß nicht son­der­lich min­der­hei­ten­freund­lich ein­ge­stellt — ent­schei­dend ist die Mas­se (der Ar­bei­ter), in der al­les auf­geht; und da die Ju­den hier in Öster­reich eine Min­der­heit bil­den, die nicht in der Mas­se auf­ge­hen will ...

Pssssst!!!


Schuldgefühle


Al­lein das Wort „Ju­de” (egal, in wel­chem Zu­sam­men­hang!) löst bei vie­len — vor al­lem bei je­nen, die die Zeit des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus nicht mit­er­lebt ha­ben — Be­klem­mung aus; man klopft sich so­gleich auf die Brust und „be­kennt” vor aller Welt: „Ich bin kein An­ti­se­mit”. Soll­te sich je­mand, den man kri­ti­siert hat, hin­ter­her als Ju­de er­wei­sen, be­eilt man sich hin­zu­zu­fü­gen: „... aber ich ha­be nichts ge­gen Ju­den!”

Wer nicht so rea­giert, ist so­fort ver­däch­tig: „Ich hab's ja im­mer ge­wußt — die Nazi–Sau!”

Für sol­che Leu­te wä­re ein Be­such in Is­ra­el si­cher das Rich­ti­ge. Auch die Teil­nah­me an un­se­rer Ver­an­stal­tung vom Jän­ner die­ses Jah­res auf un­se­rer Bu­de („Chri­sten­tum und Ju­den­tum”) hät­te hier ab­so­lut dien­lich sein kön­nen.

Wie wür­den wohl wir Chri­sten rea­gie­ren, wenn An­ders­gläu­bi­ge im Ge­spräch un­ter­ein­an­der oder auch mit uns un­un­ter­bro­chen po­sau­nen wür­den: „Aber ich ha­be ge­ne­rell nichts ge­gen Chri­sten!”???

Ich wür­de es ein­fach nicht glau­ben!


Ami — go home?


Die mei­sten Öster­rei­cher wa­ren nicht ge­ra­de be­gei­stert von den Haß­tir­a­den des Jü­di­schen Welt­kon­gres­ses und der Washing­ton Post. Viel­leicht ha­ben de­ren An­grif­fe so­gar den Wahl­sieg Wald­heims be­wirkt.

Als der Na­me Wald­heim dann auf die Watch–List ge­setzt wur­de, sank das Ver­ständ­nis der Öste­rrei­cher für die Po­li­tik der Ver­ei­nig­ten Staa­ten auf einen Tief­punkt.

Das Pro­blem liegt aber noch tie­fer!

Als ich 1982 mit ameri­ka­ni­schen Freun­den in Mil­wau­kee eine Par­ty be­such­te, wur­de ich mit „Heil Hit­ler” be­grüßt — man glaub­te, mir eine Freu­de zu ma­chen!

Bei den Um­fra­gen des ORF in den Stra­ßen­schluch­ten von Man­hattan wur­den lei­der nur ober­fläch­li­che Fra­gen („What do you know about Mr Wald­heim?”) ge­stellt, auf die man na­tür­lich — wenn über­haupt — nur ober­fläch­li­che Ant­wor­ten erhielt („He was in­vol­ved in Nazi crimes”). Hät­te man die Leu­te ge­fragt, was die Wör­ter „Nazi”, „NSDAP”, „SA”, „SS” etc. be­deu­ten (eine eng­li­sche Über­set­zung hät­te schon ge­nügt) — die ar­men Re­por­ter wä­ren wohl wo­chen­lang mit Mi­kro­phon und Ka­me­ra ge­stan­den, oh­ne eine ein­zi­ge ad­ä­qua­te Ant­wort zu er­hal­ten.

Und trotz­dem hät­te sich kein ein­zi­ger der Be­frag­ten das „Recht” neh­men las­sen, über die Öster­rei­cher und ih­ren Bun­des­prä­si­den­ten zu ur­tei­len.

Ami — go home?

Sind wir Öster­reic­her wirk­lich viel bes­ser? „Wer von euch ohne Fehl ist, der wer­fe den er­sten Stein!”


Hello, Mr Bronfman!


Zwei Stu­den­ten sit­zen in der Stra­ßen­bahn in Wien. Wäh­rend des an­ge­reg­ten Ge­sprächs meint der eine: „Mei­nen Bronf­man–Whis­key ha­be ich letz­te Wo­che ins Klo ge­schüt­tet.”

Nach einer wü­sten Be­schimp­fung sei­tens eines em­pör­ten Fahr­ga­stes („Antise­mit ...!”) sagt er nur: „Ver­zei­hen Sie, mein Herr: Ich bin Ju­de!”

Bei uns auf der Bu­de gibt es nach wie vor die­sen Whis­key: so­lan­ge er uns schmeckt!


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