Mensch oder Roma?

Über Österreich, seine Medien und Politiker

Carolinas Nachrichten Nr. 3/1995 S. 11–13


Da gibt es ein paar Leu­te, die neh­men ein Rohr, Spreng­stoff und eine Zünd­vor­rich­tung, ba­steln da­raus eine Bom­be und freuen sich, wenn bei der Ex­plo­sion der­sel­ben ein paar An­ge­hö­ri­ge der Ro­ma drauf­ge­hen.

Da gibt es ein paar Leu­te, die sich Jour­na­li­sten nen­nen, die neh­men Pa­pier, einen Com­pu­ter und Drucker­schwär­ze oder eine Ka­me­ra, ba­steln da­raus eine Zei­tung be­zie­hungs­wei­se einen Fern­seh­re­port und freu­en sich, daß sie end­lich wie­der et­was Sen­sa­tio­nel­les zu be­rich­ten ha­ben.

Da gibt es ein paar Leu­te, die das be­trei­ben, was sie Po­li­tik nen­nen, die neh­men vier to­te Ro­ma, ein paar In­ter­views und ein dum­mes Volk, ba­steln da­raus me­dien­ge­recht in­sze­nier­te Trauer­mi­mik und Be­stür­zung und freu­en sich, wenn sie sich wie­der ein­mal so rich­tig em­pö­ren und di­stan­zie­ren kön­nen.

Da gibt es schließ­lich vier To­te, von de­nen fast je­der ver­ges­sen hat, daß sie Men­schen wa­ren. Vier ver­ach­te­te Men­schen, die zwei­mal er­mor­det wor­den sind: Ein­mal im phy­si­schen Sin­ne, und nach­her da­durch, daß man sie des Mensch­seins be­raubt hat, in­dem man mit al­lem pein­li­chen Nach­druck im­mer wie­der be­ton­te, sie seien „Mit­bür­ger” — das heißt „Öster­rei­cher” — ge­we­sen. Ist denn ein Ro­ma, der nicht Mit­bür­ger ist, kein Mensch, sein ge­walt­sa­mes En­de kein Mord?

„Wer einen an­de­ren tö­tet, ...”, heißt es in § 75 des Öster­rei­chi­schen Straf­ge­setz­bu­ches. Von Öster­rei­chern, Ro­ma, Chi­ne­sen, von Mos­lems, Chri­sten oder Ju­den, von In­dia­nern, Ne­gern oder Bleich­ge­sich­tern ist dort nicht die Re­de, und ich hof­fe sehr, daß das so bleibt. Nicht der Mord an einem Ro­ma, son­dern der Mord an sich ist das Ver­bre­chen, das ge­sühnt wer­den muß. Sei­ne Ba­ga­tel­li­sie­rung durch eine auf die Staats­bür­ger­schaft oder eth­ni­sche Zu­ge­hö­rig­keit von Tä­ter und Op­fer ba­sie­ren­de dif­fe­ren­zier­te Be­ur­tei­lung sol­cher Un­ta­ten ist zu­min­dest pas­si­ve Un­ter­stüt­zung der Mör­der und so­mit eben­so ein Ver­bre­chen!

Als ge­lern­ter Öster­rei­cher bin ich die Blöd­hei­ten und Ge­fühl­lo­sig­kei­ten un­se­rer Me­dien und Po­li­ti­ker ge­wohnt, sie berüh­ren mich nicht. Als Mensch aber schä­me ich mich ih­rer men­schen­ver­ach­ten­den Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit. Man muß sich vor­stel­len, daß die­se Leu­te es fer­tig­brin­gen, einen Mord an vier Men­schen für Selbst­dar­stel­lun­gen zu be­nut­zen, Kom­men­ta­re ab­drucken und vor­le­sen, ja so­gar noch in der La­ge sind, an­läß­lich des Be­gräb­nis­ses Re­den zu hal­ten!

An­ge­sichts eines sol­chen Ver­bre­chens, an­ge­sichts des Schmer­zes, der über die An­ge­hö­ri­gen der To­ten ge­bracht wor­den ist, bräch­te ich kein ein­zi­ges Wort her­aus vor Trau­er und Wut und dem drin­gen­den Be­dürf­nis, die Tä­ter aus­zu­for­schen und zur Ver­ant­wor­tung zu zie­hen.

Ich wer­de mich aber nie­mals von Ver­bre­chen — oder Denk­wei­sen und Ideo­lo­gien, die die­se Ver­bre­chen gut­hei­ßen — di­stan­zie­ren. Das ha­be ich, weil ich we­der ir­gend­ein Na­he­ver­hält­nis da­zu ge­habt ha­be noch ha­be noch ha­ben wer­de, ein­fach nicht nö­tig. Es kä­me einem Ein­ge­ständ­nis von Schuld gleich — einer Schuld, die ich nicht auf mich ge­la­den ha­be. Zu lan­ge ha­be ich selbst das Leid ge­se­hen und er­lebt, das Vor­ur­tei­le ver­ur­sa­chen kann, zu viel, zu in­ten­siv ha­be ich mich mit die­sen Ideo­lo­gien be­schäf­tigt; ich bin im­mun ge­gen die­se Krank­hei­ten, sie stel­len für mich (wie für jeder­mann!) eine Ge­fahr dar, die ich bis jetzt im­mer wie­der oh­ne Schwie­rig­kei­ten mei­stern konn­te.

Not­wen­dig ha­ben das viel­mehr je­ne, die durch Pein­lich­kei­ten, wie sie an­läß­lich die­ses Ver­bre­chens pas­siert sind (und ich be­trach­te es auch als be­sorg­nis­er­re­gend, daß ein Burg­thea­ter­di­rek­tor na­mens Pey­mann die­se Pein­lich­kei­ten im Ge­gen­satz zu man­chem Po­li­ti­ker und Jour­na­li­sten als sol­che er­kennt!), Be­tre­ten­heit und Schuld­ge­füh­le bei Leu­ten her­vor­ru­fen wol­len, die mit Frem­den­feind­lich­keit oder Mord nichts am Hut ha­ben. Ge­ra­de der ra­di­ka­len Agi­ta­tion ge­lingt es — wie die Ge­schich­te oft ge­zeigt hat — im­mer wie­der, sich die durch sol­che Ak­tio­nen ent­ste­hen­de Un­si­cher­heit und die da­mit ver­bun­de­nen Emo­tio­nen und Trotz­re­ak­tio­nen in der Be­völ­ke­rung für eige­ne Zie­le und Zwecke zu­nut­ze zu ma­chen. Weh­ret den An­fän­gen!



Ich kann den Lösch­nak, un­se­ren In­nen­mi­ni­ster, nicht lei­den. Trotz­dem ist aber fest­zu­stel­len, daß auch der al­ler­be­ste al­ler In­nen­mi­ni­ster nie­mals per­sön­lich in der La­ge sein wird, Men­schen da­von ab­zu­hal­ten, an­de­ren Men­schen Leid zuz­u­fü­gen, er da­her für eine sol­che Tat auch nicht ver­ant­wort­lich ist. Er ist aber auch nicht für Fehl­lei­stun­gen der Exe­ku­ti­ve ver­ant­wort­lich, wenn Me­dien durch Mut­ma­ßun­gen und Vor­ver­ur­tei­lun­gen Er­mitt­lun­gen ka­na­li­sie­ren und da­durch ein­schrän­ken. Es ist nun ein­mal das We­sen fun­dier­ter kri­mi­na­li­sti­scher Ar­beit, daß sie tun­lichst al­le Mög­lich­kei­ten zu An­fang der Er­mitt­lun­gen in Be­tracht zieht, um fa­ta­le und rechts­staat­lich be­denk­li­che Feh­ler von vor­ne­her­ein wei­test­ge­hend aus­zu­schlie­ßen.

So ist — ent­ge­gen der öf­fent­li­chen Mei­nung — nicht so­fort und au­to­ma­tisch von na­tio­nal­so­zia­li­sti­scher be­zie­hungs­wei­se frem­den­feind­li­cher Agi­ta­tion aus­zu­ge­hen, wenn An­ge­hö­ri­ge einer Min­der­heit in die­sem Lan­de Op­fer eines Ver­bre­chens wer­den (man den­ke hier et­wa an je­ne Schän­dun­gen jü­di­scher Grab­stei­ne oder auch an ver­schie­de­ne An­schlä­ge auf tür­ki­sche Ein­rich­tun­gen in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, die nach­ge­wie­se­ner­ma­ßen nicht auf die so­ge­nann­te „rech­te Sze­ne” zu­rück­zu­füh­ren sind).

Um po­ten­tiel­le Tä­ter wirk­sam ab­zu­schrecken, soll­ten sich näm­lich un­se­re Ver­fas­sung, da­mit un­se­re Exe­ku­ti­ve und un­se­re Ju­stiz, als ef­fi­zient er­wei­sen, und zwar ins­be­son­de­re da­durch, daß der oder die wah­ren Tä­ter aus­ge­forscht und ih­rer dem Ge­setz ent­spre­chen­den Stra­fe zu­ge­führt wer­den, an­statt durch Mut­ma­ßun­gen und Vor­ver­ur­tei­lun­gen die­se Per­so­nen ge­ra­de­zu zum Ver­bre­chen auf­zu­for­dern, in­dem man ih­nen eine Mär­ty­rer­rol­le qua­si auf dem Sil­ber­ta­blett of­fe­riert, die von die­sen meist gar nicht als un­an­ge­nehm, son­dern viel­mehr als sehr will­kom­men emp­fun­den und dank­bar an­ge­nom­men wird.

Daß so et­was aber in un­se­rem Lan­de pas­siert, hängt vor al­lem da­mit zu­sam­men, daß man sich ger­ne und vor al­lem im öf­fen­tli­chen Le­ben mit ge­schicht­li­chem Halb­wis­sen, mit ober­fläch­li­chen Aus­sa­gen, All­ge­mein­plät­zen und Vor­ur­tei­len be­gnügt. Es ist aber ganz si­cher kei­ne Lö­sung, auf Jörg Hai­der zu schimp­fen und auf sei­ne Ge­fähr­lich­keit hin­zu­wei­sen; ge­fähr­lich sind wir, wenn wir nicht ler­nen oder ler­nen wol­len, die De­mo­kra­tie zu schüt­zen — durch Wis­sen, durch Auf­klä­rung, durch eigenes „leuch­ten­des” Bei­spiel (eigent­lich selbst­ver­ständ­lich!).

Es ge­nügt auch nicht, „Na­zis” oder „neo­na­zi­sti­sche Um­trie­be” zu ver­dam­men; um sie be­kämp­fen und ver­hin­dern zu kön­nen, muß man sich in­ten­siv mit die­sen Leu­ten und ih­ren ge­schicht­li­chen und ak­tu­el­len na­tio­nal­so­zia­li­sti­schen oder an­ar­chi­sti­schen Denk­struk­tu­ren be­schäf­ti­gen (und das gilt bei­lei­be nicht nur für den na­tio­na­len, son­dern auch für den in­ter­na­tio­na­len So­zia­lis­mus so­wie für alle an­de­ren men­schen­feind­li­chen Ideo­lo­gien und Ma­chen­schaf­ten).

Auch die Fein­de der De­mo­kra­tie sind ein Teil der De­mo­kra­tie, ha­ben ih­ren Platz da­rin; ich wa­ge so­gar zu be­haup­ten, daß sie für die Ent­wick­lung und da­mit für den Be­stand der De­mo­kra­tie un­ent­behr­lich sind.

Un­er­läß­lich ist aber auf der an­de­ren Sei­te der ent­spre­chen­de, fun­dier­te, weil durch Er­fah­rung und Wis­sen un­ter­stütz­te Um­gang der De­mo­kra­ten mit ih­ren Fein­den, soll die­ses Sy­stem nicht durch in­ad­äqua­tes Agie­ren ad ab­sur­dum ge­führt wer­den.

Me­dien und Po­li­ti­ker, die sol­che Er­fah­run­gen und das Ver­mit­teln fun­dier­ten Wis­sens über die Fein­de der De­mo­kra­tie nicht ak­tiv un­ter­stüt­zen, sich (aus Man­gel an In­tel­lekt?) der in­tel­lek­tu­el­len Aus­ein­an­der­set­zung — dem Ur­quell zi­vi­li­sier­ter Ent­wick­lung — nicht stel­len wol­len oder kön­nen, ja so­gar aus Macht­er­hal­tungs­trieb, Kul­tur­lo­sig­keit, Dumm­heit oder Un­wis­sen ent­ge­gen­ge­setzt wir­ken, zäh­len selbst zu den Fein­den der De­mo­kra­tie und müs­sen da­her auch als sol­che be­kämpft wer­den.

Alles an­de­re be­deu­tet Un­ter­stüt­zung für die Mör­der der vier Ro­ma, be­deu­tet Un­ter­stüt­zung für Sen­sa­tions­lust und Ober­fläch­lich­keit, für den Macht­er­halt der Un­fä­hi­gen, für die Aus­höh­lung der De­mo­kra­tie.

Weh­ret den An­fän­gen, heißt es. An­schlä­ge wie je­ne auf die vier Ro­ma sind ganz si­cher kei­ne öster­rei­chi­sche oder deut­sche „Spe­zia­li­tät”, sie pas­sie­ren viel­mehr — so trau­rig und sinn­los das auch ist — je­der­zeit und über­all auf der Welt; in der Re­ak­tion da­rauf offen­bart sich je­doch un­ser mensch­li­ches und po­li­ti­sches Ver­sa­gen. Wi­der­spruch ist da­her an­ge­bracht und not­wen­dig: De­mo­kra­tie be­deu­tet Frei­heit für den ein­zel­nen, und Frei­heit be­deu­tet Ein­schrän­kung, oh­ne die sie nicht denk­bar wä­re.

Schrän­ken wir Po­li­ti­ker und Jour­na­li­sten ein, klop­fen wir ih­nen auf die Fin­ger ob ihrer Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit und ret­ten wir so von un­se­rer De­mo­kra­tie, was noch zu ret­ten ist.


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