Aus dem Land der Alpenzwerge

Ein Mär­chen über den Aka­de­mi­schen Bund ka­tho­lisch–öster­rei­chi­scher Lands­mann­schaf­ten

Carolinas Nachrichten Nr. 3/1988, S. 10 f


Die Re­pu­blik der Al­pen­zwer­ge war nicht im­mer eine Re­pu­blik; zu An­fang die­ses Jahr­hun­derts stan­den noch wür­di­ge Mo­nar­chen an der Spit­ze die­ses Lan­des, und nicht nur die Ig­no­ranz des Pö­bels war da­ran schuld, daß dem heu­te nicht mehr so ist.

Im Land der A­lpen­zwer­ge gab und gibt es eine ganz be­son­dere Zwer­gen­sor­te: die Cou­leur– oder Kap­pel­zwer­ge. Von die­sen wie­de­rum wa­ren eini­ge nicht son­der­lich von der neuen Staats­form be­gei­stert; sie be­schlos­sen, das An­den­ken an „ih­ren” Al­pen­kai­ser­zwerg in Eh­ren zu hal­ten und grün­de­ten ka­tho­lisch– (die Zwer­ge gin­gen auch in die Kir­che) –al­pen­län­di­sche– (sie wa­ren sehr pa­trio­ti­sche Zwer­ge) Zwerg­mann­schaf­ten (wie sie auf die­ses Wort ka­men, da­rüber rät­seln sie noch heu­te).

Da­mit nun aber die ein­zel­nen Kap­pel­zwer­ge und Zwerg­mann­schaf­ten nicht für sich al­lei­ne über Gott, Kai­ser­zwerg und Zwer­gen­land grü­beln müs­sen, grün­de­ten sie einen aka­de­mi­schen (denn ge­bil­det wa­ren und sind sie al­le — oder wol­len es zu­min­dest sein) Bund, des­sen Mit­glie­der die ein­zel­nen Zwerg­mann­schaf­ten waren.

Da sich die Zwerg­mann­schafts–Kap­pel­zwer­ge — wie schon er­wähnt — oft und gern an ver­gan­ge­ne Zei­ten er­in­ner­ten, war es ih­nen eine gro­ße Eh­re, daß sie einen so­ge­nann­ten „Ober­band­zwerg” hat­ten, der ein di­rek­ter Nach­fah­re des er­ha­be­nen letz­ten Al­pen­zwer­gen­kai­sers war und der ne­ben vie­len an­de­ren Vor­zü­gen In­tel­li­genz und Cha­rak­ter­stär­ke be­saß.

In diesen Bund ent­sand­ten die ein­zel­nen Zwerg­mann­schaf­ten nun je einen De­le­gier­ten­zwerg (der oft der Ober­zwerg oder auch „Senior­zwerg” der Zwerg­mann­schaft war) zu den ein­zel­nen Kap­pel­zwer­gen–Sit­zun­gen (auch „Con­ven­te”), die dann ih­rer­seits ein Zwerg­mann­schafts–Bun­des­zwer­gen–Char­gen­kabi­nett wähl­ten.

Sinn und Zweck die­ser Vor­gangs­wei­se war, nach außen hin ge­schlos­sen auf­tre­ten zu kön­nen. Die Zwerg­mann­schaf­ten hat­ten näm­lich kein leich­tes Le­ben: Sie muß­ten sich weh­ren ge­gen Vor­wür­fe, ewig­ge­strig und ver­staubt zu sein, an den Hoch­schu­len muß­ten sie sich mit einem Pack von Kom­mu­ni­sten– und Ras­si­sten­zwer­gen prü­geln, al­ler­lei or­ga­ni­sa­to­ri­scher Klein­kram mußte er­le­digt wer­den u.v.a.m.

Das al­les fiel ih­nen aber re­la­tiv leicht, da sie un­ter an­de­rem das Prin­zip der Bun­des­zwerg­lich­keit hat­ten, das be­in­hal­te­te, daß alle Bun­des­zwer­ge sich ge­gen­sei­tig un­ter­stüt­zen sol­len. Außer­dem hat­te ich Ober­band­zwerg die be­reits er­wähn­ten Vor­zü­ge, die ihn zu einer mo­ra­li­schen Auto­ri­tät mach­ten: Sein Na­me brach­te auf je­dem Zwer­gen­con­vent das Streit­ge­mur­mel zum Ver­stum­men, leuch­te­te wie die Son­ne am Him­mel und gab den Bun­des­zwer­gen ein ge­wis­ses Zu­sam­men­ge­hörig­keits­ge­fühl (und ins­ge­heim hat sich wohl je­der Zwerg­mann­schafts–Kap­pel­zwerg in sei­nem Le­ben min­de­stens ein­mal aus­ge­malt, wie schön es doch wä­re, wenn die­ser Ober­band­zwerg Al­pen­kai­ser­zwerg sein könn­te ...). So wa­ren sie eine klei­ne, aber zu­gleich schlag­kräf­ti­ge Grup­pe, die eine Li­nie hat­te und an die­se Li­nie auch glaub­te. Schmerz­li­cher­wei­se blieb dies nicht lan­ge so. Wie das bei Ver­ei­nen und an­de­ren Grup­pen eben vor­kommt, wa­ren auch die Kap­pel­zwer­ge der Zwerg­mann­schaf­ten über­eif­rig und ver­lo­ren so ih­re wah­ren Idea­le und Zie­le aus den Au­gen.

Es be­gann kaum merk­bar: Auf den Bun­des­con­ven­ten der Kap­pel­zwer­ge ka­men im­mer mehr or­ga­ni­sa­to­ri­sche Fra­gen auf die Ta­ges­ord­nung, wäh­rend Grund­satz­fra­gen nur mehr sel­ten an­ge­schnit­ten wur­den. An­statt äuße­ren Fein­den ent­schie­den ent­ge­gen­zu­tre­ten, kap­sel­te man sich ab, wand­te man sich im­mer mehr nach in­nen, um z.B. darüber zu dis­ku­tie­ren, ob man der deut­schen Gram­ma­tik Rech­nung tra­gen und einen Bei­strich in den Text für eine Ge­denk­ta­fel ein­fü­gen soll­te. Sie ver­ga­ßen über der Wich­tig­keit die­ser Fra­ge, daß in fünf­zig Jah­ren wohl nie­mand ir­gend­einen Grund ha­ben wür­de, ih­nen eine Ge­denk­ta­fel zu wid­men.

Sie ver­ga­ßen lei­der auch, daß sie das Wort „aka­de­misch” in ih­rem Na­men tru­gen und daß sie da­her ein ge­wis­ses En­ga­ge­ment an den Uni­ver­si­tä­ten zei­gen soll­ten. Dies führ­te u.a. auch da­zu, daß eini­ge der Zwerg­mann­schaf­ten kei­ne Jung–Kap­pel­zwer­ge mehr be­ka­men, wo­rauf eini­ge Zwerg­mann­schaf­ter die Freu­de an ih­rem Ver­ein ver­lo­ren.

Vor lau­ter Klein­kram und Klein­geist sa­hen schon nach kur­zer Zeit die Zwerg­mann­schaf­ter (die ja eigent­lich zur gei­sti­gen Eli­te gehören sollten und auch einen derartigen Anspruch — allerdings immer weniger an sich selbst — stell­ten) das wah­re Licht, die wah­re Li­nie nicht mehr; schlim­mer noch: Sie de­gra­dier­ten ih­ren Ober­band­zwerg, der sich in sei­nen Eigen­schaf­ten nicht ge­än­dert hat, zu einem simp­len Füh­rer, dem man be­din­gungs­los und fähn­chen­schwin­gend nach­zu­fol­gen hat — so wie die Scha­fe einem Leit­ham­mel. Von der „mo­ra­li­schen Auto­ri­tät” auf den Con­ven­ten war na­tür­lich auch nichts mehr zu spü­ren, es wur­de viel­mehr um des Al­pen­kai­ser­zwerg's Bart ge­strit­ten.

Na­tür­lich war das für je­ne Zwer­gen­brü­der, die die Fehl­ent­wick­lung er­kann­ten (und für die an­de­ren in­stink­tiv auch) sehr fru­strie­rend. So kam es, daß sich nur mehr mit Mü­he einer fand, der ein Amt im Zwerg­mann­schaf­ter­bund über­neh­men woll­te: An­statt aus einer Rei­he von hoch­qua­li­fi­zier­ten Zwer­gen­brü­dern den be­sten aus­zu­wäh­len, einig­te man sich mei­stens auf je­nen, der nicht zu ak­tiv ist oder des­sen Na­se den mei­sten ge­fiel, und ließ sie hin­ter­her, wenn sie Un­ter­stüt­zung brauch­ten, fal­len wie eine heiße Kar­tof­fel.

Ich habe schon ge­sagt, daß eini­ge Zwer­gen­brü­der er­kann­ten, daß sich ihr Bund auf dem Holz­weg be­fand. Zu sehr aber war die Kurz­sich­tig­keit der mei­sten an­de­ren fort­ge­schrit­ten, um noch die Not­wen­dig­keit einer Kor­rek­tur ein­zu­se­hen. Und da es viel leich­ter ist, eine un­an­ge­neh­me Kri­tik mit Hin­weis auf den dicken Bauch des einen, auf die Lang­at­mig­keit beim Re­den des an­de­ren oder viel­leicht auf den stei­fen Gang des War­nen­den ab­zu­wür­gen als da­rüber nach­zu­den­ken, ob even­tu­ell der dick­bäuchig­ste, lang­wei­lig­ste oder steif­ste Zwer­gen­bru­der trotz seivner Fehvler Recht ha­ben könn­te, be­schloß man, daß nur mehr das, was der er­wähn­ten Kurz­sich­tig­keit ent­spricht, der Weis­heit letz­ter Schluß ist und daß d­aher für je­den Zwerg­mann­schaf­ter es eine Eh­re und eine Pflicht ist, nach die­sem Grund­satz zu han­deln.

Im Land der Al­pen­zwer­ge werden die Brücken über Flüs­se und Stra­ßen erst ge­naue­stens und re­gel­mä­ßig über­prüft, seit in der Zwer­gen­haupt­stadt die Zwer­gen­reichs­brücke ein­stürz­te. Ge­gen einen be­son­ders ge­häs­si­gen klei­nen dunkel­schnurr­bär­ti­gen Zwerg stand man erst auf, als die­ser das Land der Alpen­zwer­ge schon fest im Griff hatte und gar graus­lich in ihm wü­te­te. Und erst nach­dem schon vie­le Bäu­me am Ab­ster­ben wa­ren, be­schloß man, die Ab­gas­re­ge­lun­gen für die Zwer­gen­autos und für die Ver­bren­nungs­an­la­gen für den Zwer­gen­müll zu än­dern.

Was wohl al­les ge­sche­hen muß, be­vor sich die Bun­des– und son­sti­gen Zwerg­mann­schaf­ter wie­der auf ih­re Idea­le be­sin­nen?

Eine neue Stan­dar­te für den Aka­de­mi­schen Zwer­gen­bund ka­tho­lisch–al­pen­län­di­scher Zwerg­mann­schaf­ten ist si­cher nicht eines die­ser Idea­le; sie kann aber sehr wohl An­laß da­für sein, zu ih­nen zu­rück­zu­keh­ren und ge­schlos­sen für sie ein­zu­tre­ten, meint

Euer Rotkappelzwerg A.


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